Anette Eltner
Juniorprofessorin für Geosensorsysteme an der Technischen Universität Dresden
Intelligentes Umweltmonitoring für robuste Prognosen
Menschen in Deutschland erfahren immer öfter – ob aus den Medien oder am eigenen Leib –, dass sich manchmal innerhalb von Stunden entscheidet, ob bei einem Hochwasser Hab und Gut gerettet werden kann oder sogar das eigene Leben gefährdet ist. Die Wasserpegel großer Flüsse wie Donau und Rhein werden von den Wasser- und Schifffahrtsämtern überwacht, so dass die Behörden vor solchen Katastrophen rechtzeitig warnen können. Anders ist das bei kleinen Flüssen und Bächen, die nach intensivem, andauerndem Regen plötzlich zu reißenden Strömen anschwellen können. Hier fehlen oftmals die Messgeräte, die den Pegelstand zuverlässig erfassen – und damit fehlt auch den Experten und Expertinnen die Möglichkeit, vor solchen Hochwasserereignissen rechtzeitig zu warnen. Das könnte sich künftig ändern – auch dank Künstlicher Intelligenz.
Zu den Vorreiterinnen in diesem Bereich gehört die Geografin Anette Eltner. Sie ist seit 2021 Juniorprofessorin für Geosensorsysteme an der Technischen Universität Dresden und arbeitet an KI-gestützten Methoden, die bessere Beobachtungen verschiedener Umweltparameter liefern sollen. Im Rahmen des Projekts „Künstliche Intelligenz für die Hochwasserwarnung (KIWA)“ wertet sie mit ihrem Team an verschiedenen Standorten in Sachsen Kamerapegel aus. Dabei handelt es sich um Kameras, die die Höhe der Wasseroberfläche in Relation zur Umgebung erfassen und messen können. Die Geräte stehen an kleinen Elbzuflüssen, die nach starkem und langanhaltendem Regen zur Gefahr werden können.
KI-gestützte Hochwasser-Vorhersagen
Dank eingebauter Fotokameras können die Messgeräte den Wasserstand und die Fließgeschwindigkeiten auf der Wasseroberfläche in bestimmten Zeitabständen erfassen. Ein wichtiger Schritt, um den Durchfluss dieser Fließgewässer zu erfassen. „Wenn es dort dann zu Starkregenereignissen kommt, reagieren die kleinen Zuflüsse schnell und wir können mit unserem System Hochwasserereignisse besser beobachten,“ erklärt die Geografin. Das heißt, sie erfasst Daten, damit später Hydrologinnen und Hydrologen auf deren Grundlage Hochwasserereignisse an Bächen und kleinen Zuflüssen exakter vorhersagen zu können.
Die Kameras erfassen die veränderliche Wasserfläche auf den Bildern – was komplexer ist als vielleicht vermutet. Je nach Wetter und Lichtverhältnissen sieht die Oberfläche nämlich anders aus, was die Pegelberechnungen verfälschen kann. Genau hier liegt die Herausforderung: Um zuverlässige Beobachtungen zu liefern, müsse bei klarem wie trübem Wasser jeder einzelne Pixel definitiv als Wasser oder Nicht-Wasser klassifiziert werden, sagt Eltner: „Sobald wir die Wasserflächen identifiziert haben, nutzen wir deren Umrandungen, um sie mit 3D-Modellen zu verschneiden.“
Mit diesen Informationen kann die Wasserhöhe in einem topografischen Modell angezeigt und der Fluss in seiner landschaftlichen Ausbreitung digital dargestellt werden. Für Risikokarten von Kommunen sind das wertvolle Informationen, denn so wird deutlich, welche Gebäude besonders gefährdet sind.
„Die Schwierigkeit besteht darin, das neuronale Netz so robust und effektiv zu trainieren, dass es bei verschiedenen Lichtverhältnissen und Wasserständen zuverlässig arbeitet“, sagt Eltner. Dafür müssen zunächst viele Trainingsdaten erfasst bzw. vorhandene Datensätze künstlich erweitert werden. Letzteres bedeutet, dass Forschende Bilder synthetisch verändern. Eltner erklärt: „Wenn wir sie zum Beispiel drehen oder spiegeln, gewinnen wir aus einem Bild mehrere Trainingsbilder.“
Dabei müssen die Veränderungen realistisch bleiben, weshalb Schatten hinzugefügt oder Kontraste variiert werden – so wie sich auch echte Wasserflächen im Lauf des Tages und bei unterschiedlichen Wetterlagen verändern. KI spielt insbesondere bei der Analyse und Auswertung der Bilddaten eine zentrale Rolle. Oberste Priorität ist dabei, den Durchfluss und andere wichtige hydrologische Parameter genauer zu bestimmen. Auf der Grundlage können Hydrologen dann ihre Modelle kalibrieren.
3D-Landschaftsmodelle in Bewegung
Seit 2017 verwendet Anette Eltner für so genannte photogrammetrische Untersuchungen Methoden des maschinellen Lernens: „Früher scheiterten wir oft an wechselnden Umweltbedingungen. Mit neuronalen Netzen konnten wir plötzlich Objekte sehr viel zuverlässiger erkennen und diese Daten analysieren.“
Die Geografin erfasst geomorphologische Veränderungen mit Videokameras, um beispielsweise auch lebende dreidimensionale Modelle von Küstenlinien oder Felshängen zu erzeugen. Die technischen Erfassungssysteme sind in der Regel teuer, weshalb sie nur an besonders wichtigen Orten zum Einsatz kommen. Mit kostengünstigen Systemen ging Eltner auch diesen Engpass an: Sie zeigte, dass Sensoren wie einfache Kameras und kleine Einplatinencomputer wie Raspberry Pis ausreichen können, um wichtige landschaftliche Veränderungen zu beobachten.
Kontinuierlich Daten in festen Intervallen zu erfassen, ist für Eltner aber oft nur ein erster Schritt. Sie möchte flexibel reagieren können, wenn sich Veränderungen abzeichnen – und dann etwa passgenau weitere Sensoren dazuschalten. Bei einem Projekt im Oman wird dies derzeitig erprobt: Hier kombiniert ihr Team Kameras und seismische Sensoren, um Flutwellen in Wadis zu erfassen, die in der Regel selten auftreten.
Aktuell verwendet Anette Eltner KI-Methoden, um 3D-Punktwolken zu analysieren und in die Datenauswertung zeitliche Komponenten zu integrieren. Ihr Ziel ist es, dynamische Prozesse wie Bodenerosion, Steinschläge oder Hangrutsche besser vorhersagen zu können. Mit einer kontinuierlichen Datenerfassung sei es möglich, sagt sie, kritische Veränderungen zu erkennen und frühzeitig zu reagieren. Dafür setzt sie auf Sensoren, die miteinander kommunizieren.
Ferngesteuerte Flugroboter liefern riesige Datenmengen
Anette Eltner hat ihren Traumberuf gefunden. Dass es dieser sein würde, war ihr direkt nach dem Abitur nicht so klar. Damals hatte sie sich für das Studium der Geografie an der Technischen Universität Dresden aus einem einfachen Grund entschieden: „Ich wollte möglichst viel Zeit draußen verbringen und in den Naturwissenschaften arbeiten.“ Ihr gefiel, dass das Fach thematisch breit aufgestellt ist und sich mit verschiedenen Disziplinen kombinieren lässt. Zu Beginn entschied sie sich für die Vertiefungsfächer Bodenkunde und Hydrologie und ergänzte diese später mit Photogrammetrie, ein Fach, das sich mit berührungslosen, bildbasierten Mess- und Analysemethoden befasst.
Für ihre Promotion an der TU Dresden über die Bodenerosion in Andalusien begann Anette Eltner 2012 mit Drohnen zu arbeiten, um die Erosion präziser zu erfassen. „Damals revolutionierten ferngesteuerte Flugroboter bzw. Drohnen die Umweltbeobachtung, da sie günstig und flexibel hochaufgelöste Daten liefern“, erklärt sie.
Einen Haken hatte die Sache: Die Drohnen lieferten riesige Datenmengen, was für die traditionelle Datenverarbeitung ein Problem war. Mit dem Wissen der Automatisierbarkeit vieler Verarbeitungsroutinen entschied Eltner, sich einfach selbst „in die Programmierung einzuarbeiten, was mir viel Freiraum für konkrete Anwendungen bot“. Sie lernte die Programmiersprache Python, um die Bilddaten schneller effektiv auswerten zu können. Als in den 2010ern tiefe neuronale Netze in der Bildverarbeitung deutlich bessere Ergebnisse lieferten, arbeitete sie sich auch hier ein. Sie verbesserten nämlich die automatische Extraktion von Informationen später auch aus 3D-Daten deutlich.
Die Mühe hat sich mit Blick auf Eltners Projekte von heute mehr als gelohnt – wie auch für ihre eigene berufliche Zufriedenheit: „Es ist einfach faszinierend, ein 3D-Modell digital zu erzeugen, um es dann nach Bedarf hin- und herdrehen zu können. Wenn dann noch Veränderungen zu sehen sind, die sich auf bestimmte Prozesse zurückführen lassen, bin ich richtig glücklich.“