Interview

Rainer Rehak:

Wie Bits zu

Bäumen kommen

Zur Person

Der Informatiker Rainer Rehak promoviert am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft in Berlin. Sein Dissertationsprojekt in der Forschungsgruppe „Quantifizierung und gesellschaftliche Regulierung“ befasst sich mit dem gesellschaftlichen Kontext von IT-Sicherheit und Datenschutz. Er forscht und lehrt zudem in den Bereichen staatliches Hacking, Technikzuschreibungen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Rehak studierte Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin und Philosophie an der Freien Universität Berlin sowie zeitweise in Hongkong und Peking. Er ist auch technischer Sachverständiger – im Rahmen von Parlamentsanhörungen oder für das Bundesverfassungsgericht. Gemeinsam mit Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin und anderen initiierte Rainer Rehak die „Bits & Bäume“– Konferenzreihe für Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Essential

Rainer Rehak entwickelte gemeinsam mit anderen das Konferenzformat „Bit & Bäume“, um neue Impulse für eine nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung zu erarbeiten. Rehak schlägt vor, dass etwa im Rahmen einer sozialökologisch orientierten Smart City digitale Infrastrukturen als Commons selbstverwaltet und dezentral betrieben werden können. Eine Dezentralisierung sei wünschenswert, da sie Machtzentren verhindere und Teilhabemöglichkeiten eröffne. Mit Commons- Ansätzen könnte auch der Aufbau sozialer Treffpunkte wie beispielsweise Reparaturcafés und Aktivitäten wie Urban Gardening gefördert werden, welche die Bereitschaft in der Gesellschaft zur großen Transformation aus emotionaler Verbundenheit befördern könnten, sobald die Grundlagen geschaffen sind.

 

Der Neigung von KI-Systemen zur Zentralisierung könne mit freier Software, Hardware und Schnittstellen begegnet werden, glaubt Rehak. Wenn Tech-Unternehmen wie Google und Microsoft KI-Werkzeuge zur Auswertung von Nachhaltigkeitsdaten entwickeln, sieht Rehak eine weiter zunehmende Machtkonzentration als Folge. Denn bei wenig regulierten Märkten gäbe es Neigungen zur Monopolisierung, weshalb Tech-Unternehmen im aktuellen Marktumfeld „Winner takes all“-Effekte erzielen können. Im Bereich des Datenschutzes sei dies insbesondere bei Social-Media-Plattformen bereits zu beobachten, wobei Transparenzmechanismen nicht mehr genügten. Entsprechend müssten klare Regeln im Sinne der Nachhaltigkeit gefunden werden.

Rehak glaubt, dass ein KI-gestütztes Monitoring des Waldzustands, der Landnutzung sowie der Wasserverteilung und -nutzung zwar bessere Erkenntnisse der bestehenden Umstände erlaube. Es sei aber ebenso wichtig, dass die Erkenntnisse tatsächlich zum Klimaschutz und zur Bewahrung der Biodiversität angewendet würden. Wesentlich sei außerdem die Adressierung möglicher Rebound-Effekte. Dies sei jedoch nur mit zeitnahen Leitplanken etwa zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen möglich, innerhalb derer die Technik positioniert und genutzt werden müsse.

Rehak bestreitet, dass es eine „grüne“ oder „nachhaltige“ Technik gebe, weil die Nachhaltigkeitsbewertung entlang der Gesamtsicht und des konkreten Technikeinsatzes vorgenommen werden müsse, der wiederum durch politische, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geprägt werde. Entsprechend müsse der Umgang mit Energie und Rohstoffen reguliert werden, damit auch der Technikeinsatz nachhaltig wird. Bei der Bewertung, wie nachhaltig eine KI-Lösung oder ein KI-System ist, sei der Einsatzzweck einer KI-Anwendung wichtig. Letztlich müsse jedoch über eine konkrete Zielorientierung mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen der Technikeinsatz ausgeformt werden. Dies könne etwa über Emissionszertifikate oder einen CO2-Preis erreicht werden.

Rehak betont abschließend, dass die technischen Möglichkeiten in soziale Innovationen eingebettet werden müssten, wobei Fragen der Co-Kreation im Fokus stehen sollten. Der Informatiker bezweifelt, dass neue Entwicklungen in der Informatik, speziell in der KI-Forschung, einen technischen Game-Changer hervorbringen würden. Wesentlich sei der politische Wille, das 1,5°-Ziel des Pariser Klimaabkommens in der Praxis zu erreichen und die Biodiversität zu bewahren.

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Interview

Wege der soziotechnischen Innovation

  • Wie kam es zur Gründung von „Bits & Bäume“?
  • Rainer Rehak: Ende der 2000er-Jahre arbeiteten Tilman Santarius und ich zusammen beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er als Forscher, ich als Techie, aber dann verlor sich die Spur. 2017 traf ich ihn dann eher zufällig wieder auf einer Konferenz und wir kamen nach der Wiedersehensfreude in unserem Gespräch ziemlich schnell zum Thema, wie gut und nötig es wäre, wenn die Leute aus unser beider Communities mehr miteinander reden würden. Immerhin arbeiten wir gleichermaßen an einer lebenswerten Welt für alle Menschen. Tilman war damals sehr gut in eher ökologisch orientierten Kreisen vernetzt und hatte diese schon sondiert, ich kam eher aus der zivilgesellschaftlich organisierten Digitalszene und da gab es so ein Verständnis noch nicht. Wir wollten und konnten also die Akteure aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu den Themen Digitalisierung und Umwelt zusammenbringen und das klappte ja dann auch. So entstand die Konferenzreihe „Bits & Bäume – Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit“.
  • Wie war denn die Resonanz in der Digitalszene auf die Pläne, eine neue Konferenzreihe zu starten?
  • Rainer Rehak: Die Resonanz war zunächst eher verhalten. Es gab lose Zusagen, aber anfangs kamen nur wenige zu den Treffen. Doch irgendwann hatten wir die richtigen Personen gefunden, die verstanden, was hier gerade Wunderbares entsteht. Dann ging es los. Und nach wie vor wächst die „Bits & Bäume“-Community von Treffen zu Treffen, jetzt natürlich dezentral über ganz Deutschland verteilt. Die Sensibilität für die Frage, wie Digitalisierung selbst nachhaltig sowie für Zwecke der sozialökologischen Nachhaltigkeit gestaltet werden kann, ist inzwischen sehr viel größer – nicht zuletzt auch aufgrund der Fridays-for-Future-Bewegung.
  • Es gab mit der Re:publica bereits ein sehr erfolgreiches Veranstaltungsformat, das auch Nachhaltigkeitsthemen integriert. Was macht Bits & Bäume anders?
  • Rainer Rehak: Es gab vorher schon viele Ansätze, etwa das Projekt „Gene, Bytes und Emissionen“ von Silke Helfrich im Jahre 2010, einige Vorträge auf dem Chaos Communication Congress des Chaos Computer Clubs oder der re:publica, aber die Idee, das Thema insgesamt in den Fokus zu rücken, getragen von den diversen Akteuren selbst, gab es noch nicht. In der Folge saßen dann etwa das Konzeptwerk Neue Ökonomie, der BUND und das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung an einem Tisch und planten eine gemeinsame Konferenz.
  • Wie kommen die ökologisch und digital orientierten Communities zusammen?
  • Rainer Rehak: Am sichtbarsten ist das bei den elf gemeinsamen Forderungen1, die wir auf der ersten Konferenz formuliert haben und die von allen beteiligten Organisationen mitgetragen werden. So tritt etwa der CCC offiziell für eine sozial-ökologische Zielsetzung bei Gestaltung der Digitalisierung ein und Brot für die Welt für Datenschutz und IT-Sicherheit. Dies bedeutete eine Horizonterweiterung, die sich allgemein und konkret in den späteren Aktivitäten abbildete. Die wichtige Konsequenz bestand meiner Ansicht nach darin, die Themen der anderen bei der eigenen Arbeit mitzudenken und einzubeziehen. Das umfasst Fragen wie: Wie viel Energie und Ressourcen verbraucht unsere IT? Ist ein IT-Projekt nachhaltig, wenn es von einer Person allein betrieben wird? Welche Rolle spielt das Wirtschaftssystem für die Form der IT-Systeme und den Umgang mit Wissen? Die konkreten Aktivitäten in diesem Bereich sind mittlerweile unüberschaubar geworden. Aber vielleicht konnten wir mithelfen, diese Welle zu verstärken und mitzuprägen, etwa hin zu mehr Gemeinwohlorientierung.
Zehn Organisationen aus der Netz-, Umwelt- und Entwicklungspolitik haben auf der Konferenz „Bits & Bäume“ elf Forderungen formuliert, um eine gemeinsame Grundlage für die Gestaltung von Digitalisierung zu schaffen, damit diese „dem Gemeinwohl und Frieden dient, Datenschutz ernst nimmt und soziale und ökologische Ziele gleichermaßen fördert“.2.

Commons für digitale Infrastrukturen

  • Wie käme man zu einer gemeinwohlorientierten, auf Commons-Prinzipien basierenden Smart City?
  • Rainer Rehak: Bei der gängigen Smart-City-Vorstellung geht es meist um den allgemeinen Einsatz vieler Sensoren zur Datenerhebung für eine unklare spätere Nutzung. Man sollte zunächst jedoch die konkreten Use-Cases für solche Monitoring-Projekte ausformulieren und auf Nützlichkeit abklopfen sowie diese Aspekte dann ganzheitlich mit den anderen stadtplanerischen Dimensionen zusammendenken. Barcelona ist da ein gutes Beispiel, wie unter Einbeziehung der Stadtbevölkerung und digitaler Ansätze nachhaltige Stadtstrukturen und Lebensweisen ermöglicht werden.3
  • 1) Die Bits & Bäume-Forderungen, https://bits-und-baeume.org/forderungen/
  • 2) Hintere Reihe von links: Rainer Rehak (FIfF), Thomas Korbun (IÖW), Rolf Buschmann (BUND), Sven Hilbig (Brot für die Welt), Maria Bossmann (DNR), Constanze Kurz (CCC), Nadine Evers (OKF DE), vordere Reihe von links: Christoph Bals (Germanwatch), Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie), Tilman Santarius (TU Berlin).
  • 3) Scholz, N. (2018): „Für uns geht es gerade um alles“ – Interview mit Francesca Bria. Der Freitag, Ausgabe 08/2018, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/fuer-uns-geht-es-gerade-um-alles
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  • Welche gemeinschaftlichen Ansätze gibt es, um Daten und Dateninfrastruktur für die KI-Analyse so auszuwerten, dass die Interessen öffentlicher wie auch privater Akteure besser zusammenkommen?
  • Rainer Rehak: Daten über den Stromverbrauch, über Wassernutzung, über den ÖPNV oder über Autobewegungen können für alle von nachhaltigem Nutzen sein, wobei die digitalen Infrastrukturen als Commons betrieben werden sollten, damit sie wirklich im Sinne der Nutzenden funktionieren. Dabei ist es übrigens zumeist gar nicht nötig, personalisierte Daten zu haben, sondern es reicht, den Stromverbrauch pro Straßenzug zu kennen. Bei Verkehrsstaus genügt beispielsweise eine allgemeine Autodichte. Daher kann auch eine Smart City gleichzeitig datenschutzfreundlich und sozialökologisch nachhaltig gestaltet werden.

Natürlich sollte experimentiert werden, welche konkreten Techniken und Selbstverwaltungsformen jeweils passend wären. Das ginge dann auch weit über die sogenannten neutralen Daten-Treuhänder hinaus, welche die Daten aller verwalten sollen. Doch da wird üblicherweise gar nicht über aktive Commons-Modelle nachgedacht, sondern eher über notariell-verwalterische Konstrukte. Solche Systeme müssen allerdings nicht so zentralisiert und starr gebaut werden, wie es aktuell oft der Fall ist, wenn gewinnorientiert und kosteneffizient gedacht wird.

  • Warum wäre eine Dezentralisierung wünschenswert?
  • Rainer Rehak: Allein schon aus Datenschutzgründen ist Dezentralisierung eine gute Idee, wenn sie gut und sicher gemacht ist, weil somit Machtzentren verhindert und Einflussmöglichkeiten eröffnet werden. Für eine solche Selbstverwaltung braucht es dann aber auch entsprechende Rechtsformen und eine Unterstützung durch die öffentliche Hand. Man sollte sich etwa überlegen, ob gemeinnützige gGmbHs oder Genossenschaften genügen oder ob neue Ideen wie Verantwortungseigentum oder Elemente der Gemeinwohlökonomie helfen können, Commons-Strukturen für digitale Systeme aufzubauen. Die Systeme bleiben dann auch beherrschbar. Allerdings braucht es dafür auch offene und freie Systeme und Standards.
  • Der Commons-Ansatz würde primär den Umgang mit den Daten regeln?
  • Rainer Rehak: Die Commons-Ideen reichen über den technischen Datenumgang hinaus: Sie können etwa die Art des Lebens, Wohnens und Arbeitens verändern und verbessern. Beispielsweise werden Reparaturcafés ja primär betrieben, um Geräte zu reparieren und technisches Wissen zu teilen. Aber diese Orte werden natürlich auch schnell zu Treffpunkten mit wichtigen sozialen Funktionen, an denen sich Kiezstrukturen herausbilden und menschliche Vernetzung stattfindet. Im besten Fall entsteht integrativ und generationsübergreifend eine Gemeinschaftsdynamik: Wenn dort die Solarzellen auf den Dächern geplant, die Gießrhythmen für die Dachgärten erklärt, die lokale Straßennutzung diskutiert und die „intelligenten“ Straßenlaternen programmiert werden, entsteht sicherlich auch eine emotionale Verbindung, selbst bei der Energie- und Verkehrswende mitzuhelfen beziehungsweise sie persönlich mitzutragen oder Verhinderer beherzt zu konfrontieren.
  • Das klingt etwas utopisch.
  • Rainer Rehak: Vielleicht, aber wir müssen schon wissen, wohin wir wollen, sonst können wir ja nicht losgehen. Und es kann ja nicht wie jetzt gerade weitergehen. Technische Werkzeuge wie etwa Künstliche Intelligenz können da sicherlich ihren Teil beitragen, allerdings braucht KI grundsätzlich sehr viele Daten, die üblicherweise in den Datensilos von großen Unternehmen stecken. Deshalb müsste man die Neigung von KI-Technologien zur Zentralisierung mitbedenken und auffangen. So kennt Google eben die Stausituation besser als die städtische Verkehrswacht, weil es nicht nur die Daten von Datensensoren auf Autobahnbrücken und Sensorschleifen in der Fahrbahn auswertet, sondern auch die Ortsdaten aller Android- Smartphones hinzuziehen kann. Darum kann Google seinen KI- beziehungsweise Machine-Learning-Code veröffentlichen, weil niemand ohne die eigentlichen Daten Googles Geschäftsmodell gefährlich werden kann. Aber auch hier könnte man mit einem dezentralisierten Commoning ansetzen: So könnte etwa zur Stauerkennung freie Software4 in Smartphones und freien Sensoren verwendet werden, die freie, anonyme Daten produzieren, die dann über freie Schnittstellen allen zur Verfügung gestellt werden; alles lokal koordiniert.
  • Der Einsatz freier Software und Hardware wird schon lange von zivilgesellschaftlichen Gruppen gefordert, doch geschehen ist bisher nicht viel. Was könnten Kommunen tun, um diese Ansätze in der Praxis voranzubringen?
  • Rainer Rehak: Ja, die Forderungen gibt es schon länger und die Systeme in ihrer Grundform bereits auch, die Kernfragen sind daher: Woran hängt es, was ist das Problem, wer blockiert? Die Kommunen müssen natürlich erst einmal wollen, aber sie können das auch nicht sofort und nicht allein stemmen. Es braucht auch Unterstützung von oben. Es hilft auch der x-te Hackathon nicht, wenn die Ergebnisse gar nicht integriert werden können.5 Bis dahin sollte als Zwischenschritt darüber nachgedacht werden, wie man die relevanten Daten einfordern kann, wenn sie schon irgendwo vorliegen, quasi eine Art Datenvergesellschaftung.6 Die Daten wären danach ja nicht zerstört, sondern lediglich mehrfach vorhanden. Für die Gestaltung und Verbesserung eines multimodalen ÖPNV könnte ich mir das sehr gut vorstellen.

„Winner takes all“

  • Google und Microsoft fördern die Entwicklung von KIWerkzeugen zur Auswertung von Nachhaltigkeitsdaten. Wie wahrscheinlich ist hier der „Winner takes all“-Effekt in dem Sinne, dass Tech-Unternehmen anhand der Werkzeuge womöglich mitbestimmen, wer was zu welchen Bedingungen auswertet und was als nachhaltig klassifiziert wird?
  • Rainer Rehak: Die Frage ist zunächst, ob und in welchem Umfang die verwendeten Daten, Auswertungsmethoden und die gewonnenen Erkenntnisse von den großen Tech-Unternehmen transparent dokumentiert und geteilt werden, so wie es in der Wissenschaft üblich ist – denn nur so können Dritte die Methoden und Ergebnisse nachvollziehen –, oder ob sie intransparent und geheim bleiben. Bei Letzterem ist eine Tendenz zur Monopolisierung zu erwarten, die nur mit einem geringen, möglicherweise nur punktuellen gesellschaftlichen Nutzen verbunden wäre, weil die Auswertungsmethoden ohne die eigentlichen Daten praktisch nutzlos sind. Genau diese Monopolisierung sehen wir jedoch seit einiger Zeit, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist.
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  • Warum ist eher Anlass zur Skepsis geboten?
  • Rainer Rehak: Den „Winner takes all“-Effekt sehen wir oft in wenig regulierten Märkten, es handelt sich hier um die klassische kapitalistische Marktlogik7 und nicht primär um den Netzwerkeffekt digitaler Märkte,8 auch wenn er hinzukommt.9 Es ist eine Eigenschaft aller Märkte, zur Monopolisierung zu neigen – egal ob es um sich um den Eisenbahn-10 oder den Pestizidmarkt11 handelt. Das zeichnet sich in den wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungen seit Jahrzehnten12, ja seit Jahrhunderten13 ab. Deshalb gibt es ja staatliche Methoden zur Gegensteuerung wie das Kartellrecht.

Das Problem von „Big Tech“ ist demnach weniger im „Tech“ als im „Big“ begründet.14 Das verhilft Plattformen, sozialen Netzwerken und anderen Digitalunternehmen zu großem Einfluss sowohl hinsichtlich der entstehenden digitalen Landschaft, der technischen Entwicklung – besonders hinsichtlich KI –, der verfügbaren Daten, des Zugriffs auf die Daten und nicht zuletzt hinsichtlich ihres politischen Lobbyeinflusses. Wir sehen, wie diese Firmen implizit und explizit versuchen, den Nachhaltigkeitsbegriff zu entkernen, da dieser in letzter Konsequenz eine Abkehr von der aktuellen Wirtschaftswachstumsorientierung15 und den bekannten, monetär orientierten Fortschrittsmetriken16 verlangt.

Grenzen der Transparenz

  • Würde es denn ausreichen, wenn die Tech-Unternehmen mehr Transparenz herstellen?
  • Rainer Rehak: Nein, denn Transparenz – wie auch Wachstum – ist ja kein Selbstzweck. Die Informationen, die wir über die Datenverarbeitung der Unternehmen erhalten, müssen auch sinnvoll ausgewertet werden und gegebenenfalls auch Konsequenzen nach sich ziehen können. Daran müssen wir den Sinn von Transparenz messen. Allerdings müssen wir unterscheiden zwischen Transparenz gegenüber öffentlichen Kontrollbehörden oder Transparenz gegenüber Endkundinnen und Endkunden. Ersteres Verständnis ist ein sinnvoller Ansatz, weil im besten Falle die nötige Expertise und Handlungsbefugnis vorliegen. Es kann im Idealfall ordentlich kompetent geprüft und agiert werden. Dabei kann rechtliche Compliance etwa auch durch behördliche KI-Werkzeuge überprüft werden.17 Jedoch spielt oft das zweitere Verständnis eine viel prominentere Rolle in der medial-gesellschaftlichen Diskussion: Mit mehr Transparenz, so die Aussage, kann sich die Kundschaft für die datenschutzfreundlicheren oder nachhaltigeren Produkte entscheiden.
  • Stimmt das denn?
  • Rainer Rehak: Wenn ich im Internet bei einem Serviceanbieter ein Konto anlege, bestätige ich üblicherweise mit einem Klick, dass ich die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und die Datenschutzerklärung gelesen habe. Der Anbieter legt also transparent die Bedingungen dar und ich willige freiwillig darin ein. Aber erstens entfaltet die Transparenz hier keine Schutzwirkung, weil niemand die Zeit hat, regelmäßig 150 Seiten AGB-Text zu verstehen.18 Und zweitens ist es auch regelmäßig mit der Freiwilligkeit nicht weit her. Denn wenn sich etwa im schulischen Kontext die Eltern einer Klasse über den dominanten Messaging-Dienst koordinieren, fällt es sehr schwer, sich frei dagegen zu entscheiden.
  • In diesem Falle würde die Transparenz nicht weiterhelfen?
  • Rainer Rehak: Wenn eine Firma also ein (Quasi-)Monopol besitzt, hilft ein Mehr an Transparenz nicht, denn ihre Macht wird dadurch nicht kleiner. Das ist ein klassisches Phänomen bei großer Machtasymmetrie zwischen den Beteiligten.19 Deshalb ist es nötig, klare Regeln zu formulieren, also den Markt so zu gestalten, dass er das liefert, was wir als Gesellschaft eigentlich wollen – im Datenschutz und in der Nachhaltigkeit. Der Markt ist doch der Mechanismus, welcher der Gesellschaft zur optimalen Ressourcenverteilung dienen soll. Wenn diese aber nicht im Sinne der Nachhaltigkeit funktioniert – und das ist seit Jahren offensichtlich – dann müssen die Regeln entsprechend geändert werden.

Monitoring für Nachhaltigkeit

  • Ein Forum von „Bits & Bäume“ befasste sich auch mit „KI und Nachhaltigkeit“, wobei die KI hinsichtlich ihres Ressourcenverbrauchs thematisiert wurde. Inwieweit könnte denn KI für Klimaschutz und Biodiversität einen entscheidenden konstruktiven Beitrag liefern?
  • Rainer Rehak: Monitoring und speziell die KI-gestützte Detektion von Veränderungen kann einen gewissen Nutzen für Klimaschutz und Biodiversität generieren. Über die Analyse von Satellitenbildern lassen sich etwa Mangrovenpopulationen20 oder Baumbestände21 überwachen oder die allgemeine Landnutzung nachverfolgen22. Mit KI-basierten Modellen können Flusseigenschaften23 oder allgemein die kontinentale Wasserverteilung24 besser beschrieben und mit bestimmten Annahmen vorhergesagt werden. Der Nutzen beschränkt sich jedoch weitgehend auf das Entdecken, Beschreiben oder auch Vorhersagen, im Grunde auf das Erkennen der bestehenden Umstände.
  • Liegen die Vorteile eines KI-Einsatzes hier für die Nachhaltigkeit nicht auf der Hand?
  • Rainer Rehak: Ich finde es wissenschaftlich und technisch hochspannend, das Monitoring immer weiter zu verfeinern und zu spezifizieren. Die Frage ist nur, inwiefern das ein Beitrag zur Lösung des Problems ist und nicht zu einer Art wirtschaftlich-technischen Selbstbeschäftigung wird.25 Darin sehe ich eine sehr große Gefahr politischer Ausreden. Natürlich haben Smart- Sensing-Projekte ein großes Potenzial, allerdings muss mit den jeweiligen Experten und Expertinnen der Bereiche diskutiert werden, inwiefern diese Projekte tatsächlich im Sinne der Nachhaltigkeit etwas verbessern.26 Was sind die Zielgrößen, was die kritischen Parameter und wie können sie verändert werden? Das sind keine rein technischen Fragen, sondern erst einmal fachliche Fragen für die jeweiligen Anwendungsbereiche. Und zuletzt das Wichtigste: Auf die Erkenntnisse muss dann natürlich politisch reagiert werden, mehr Wissen allein genügt ja nicht.
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Ressourcen-orientierte Regulierung

  • Wie könnten Klima- und Biodiversitätsrisiken als Optimierungsziele eingebracht werden?
  • Rainer Rehak: Das ist primär keine Frage der Technik, denn es gibt keine „grüne“ oder „nachhaltige Technik“, von der wir einfach ganz viel bauen können. Nehmen wir wieder das Marktbeispiel: Ein Markt entfaltet sich innerhalb seiner Rahmenbedingungen: Welche Kosten und Risiken werden internalisiert – sind also in der Buchhaltung von Firmen sichtbar? Und welche werden externalisiert – sind also in der Buchhaltung von Firmen unsichtbar? Welche Geschäftspraktiken sind gesetzlich untersagt und welche wiederum sogar subventioniert? Benötigt ein Kraftwerk oder eine Fabrik etwa sehr viel Material, so muss das beschafft – also gekauft – werden. Wird dabei beispielsweise giftiger Abfall produziert, so muss dieser entsprechend von der Firma entsorgt werden – was auch wieder kostet. Bilden diese Kosten aber die „realen“ Kosten ab? Viel zu oft tun sie das nicht: Medizinische Folgekosten der Schadstoffe in der Luft oder die Kosten der Erderwärmung durch den CO2-Ausstoß etwa berühren die Firmen heute buchhalterisch überhaupt nicht. Diese Kosten werden später jedoch von der ganzen Gesellschaft bezahlt, etwa durch die Krankenversicherungsbeiträge oder durch Steuerausgaben. Hier setzen die Rahmenbedingungen also bislang fatale Anreize.

Es gibt demnach keine „freien“ oder „neutralen“ Märkte, sondern andersherum entstehen funktionierende Märkte konkret überhaupt erst durch die Setzung politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.27 Und was gute Rahmenbedingungen sowie gute Erfolgsindikatoren28 sind, ergibt sich direkt aus der Zielstellung.29 Wenn also Energie und Rohstoffe für Hardware vergleichsweise günstig sind, werden eher energieintensive Formen von KI verwendet oder reihenweise Rechenzentren gebaut. Gäbe es jedoch beispielsweise einen höheren CO2-Preis, würden vielleicht neue Varianten von KI entwickelt werden, bei denen das Training der Modelle weniger energieaufwendig wäre, oder es würde sich ein anderer Umgang mit KI ausprägen. Da müssen wir hin.

Rebound-Effekte adressieren

  • Technologieentwicklung wurde lange unter dem Primat der Effizienzsteigerung betrieben, doch der Energieund Ressourcenverbrauch insgesamt steigt weiterhin. Wie ließe sich das vermeiden?
  • Rainer Rehak: Eine wichtige Beschränkung dieses Effizienzdenkens auf Einzelsystemebene ist der sogenannte Rebound-Effekt. Wenn wir etwa das Ziel definieren, dass für jedes neue Rechenzentrum etwa 40 Prozent Energie eingespart werden sollen im Vergleich zu den schon bestehenden30, dann aber hundert neue Rechenzentren gebaut werden, wäre zwar eine sehr große Effizienzsteigerung gegeben, doch diese würde unter dem Strich keine Energieeinsparung bedeuten.
  • Für die Unternehmen sind Effizienzsteigerungen immer auch Einsparungen, die weitere Investitionen erlauben. Auf Effizienzsteigerungen zu verzichten, kann deshalb keine Lösung sein.
  • Rainer Rehak: Das ist richtig, aber man sollte zunächst fragen, welche großen Ziele wir überhaupt erreichen wollen, um dann davon die notwendigen Leitplanken und Maßnahmen abzuleiten, innerhalb derer Effizienzsteigerung erst ein Puzzleteil sein kann. Aktuelles Ziel ist beispielsweise eine CO2-Emissionsreduktion mit der Zielmarke Netto-Null oder sogar Netto- Negativ in acht Jahren.31 Hieraus können dann die Rahmenbedingungen für das menschliche Wirtschaften und Verhalten abgeleitet werden, innerhalb derer dann die Technik positioniert und genutzt werden muss. Effizienz ist ja kein Selbstzweck, sondern sie soll dazu dienen, einen Beitrag zur Reduzierung der globalen Emissionen zu leisten. Darum ist die Einbettung ins große Ganze so wichtig, ja sogar zwingend notwendig.
  • Wie lässt sich verhindern, dass eine Zunahme der Nutzung die Effizienzsteigerung wieder zunichtemacht?
  • Rainer Rehak: Nur mit einer konkreten Zielorientierung kann ich konkret abschätzen, ob ich gut vorankomme oder ob meine aktuellen Anstrengungen vielleicht gar nicht ausreichen, um in der nötigen Zeit zum Ziel zu kommen. Das Pariser Klimaabkommen gibt unter anderem eine maximale Erderwärmung von möglichst nur 1,5 °C vor, das ist bereits politisch verbindlich ausgehandelt und demokratisch legitimiert. Anhand von Klimamodellen ergeben sich daraus physikalisch zwingend bestimmte Emissionsbudgets und die müssen wir nun einhalten. Um nun unser menschliches Wirken inklusive des Technikeinsatzes dahingehend auszuformen, gibt es einige Maßnahmen wie etwa Emissionszertifikate oder einen CO2-Preis. Es gibt sicher auch andere Wege, aber wichtig sind eben die Rahmensetzung und Kontrolle, damit dann die Technik und insbesondere ihr Einsatz daraufhin optimiert werden kann. Das hat jedoch direkt erst einmal wenig mit der KI an sich zu tun.
  • KI ist also im Grunde eine neutrale Technologie, was sozialökologische Nachhaltigkeit anbelangt?
  • Rainer Rehak: Was das angeht, ist KI sehr ambivalent, ja. Die Nachhaltigkeitseffekte einer Technik hängen immer von der konkreten Umsetzung und vom Anwendungszweck ab. Im Moment sind Digitalisierung und KI Brandbeschleuniger32 der Klimakatastrophe, und ohne festen Rahmen beziehungsweise verbindliche Zielvorgaben mit konkreten Maßnahmen durch die Politik sehe ich hier keine Neuausrichtung. Denn insbesondere die Marktbedingungen spielen für die Nachhaltigkeitsimplikationen eine wesentliche Rolle.

Mit der KI für das automatisierte Fahren beispielsweise könnten entfernte Lebensorte an Verkehrsknotenpunkte angebunden werden, was aus sozialer Sicht gut ist. Die für diese Systeme nötige automatisierte Objekterkennung und deren „Training“ sind aber sehr energieintensiv. Ob so etwas wünschenswert und sinnvoll ist, kann nur aus einer Gesamtstrategie heraus beurteilt werden. Ein anderes Beispiel: Mit KI-gestützter personalisierter Online-Werbung soll die potenzielle Kundschaft zum Konsum angeregt werden. Personalisierte Werbung ist zwar auch ohne Einsatz von KI möglich, aber die KI selbst verbraucht viele Ressourcen und der Zweck „Konsum“ verursacht wieder erhöhten Ressourcenverbrauch. Hier fällt die Bewertung vergleichsweise leicht. Schließlich ein drittes Beispiel: Das KI-System AlphaGo, das sehr gut Go spielen lernte, benötigte für das Training so viel Energie wie eine Kleinstadt. Das ist einzig für ein Forschungsprojekt vertretbar, keinesfalls für den breiten Einsatz.

  • Wäre das denn noch ein Problem, wenn die Energie für die KI-Systeme aus klimaneutralen Rechenzentren stammen würde?
  • Rainer Rehak: Das ist sowieso langfristig notwendig, weil der Strommix der gesamten Volkswirtschaft klimaneutral werden muss. Zudem kann das Thema nicht isoliert betrachtet werden, denn Cloud-Anwendungen brauchen Infrastruktur und Endgeräte, die ja alle Strom benötigen. Und nicht zuletzt bestehen Rechenzentren aus realer Hardware, also materiellen Rohstoffen. Die müssen abgebaut, verarbeitet und zum Schluss auch wieder entsorgt oder besser wiederverwendet werden. Dieser Ablauf hat enorme energetische, materielle, und nicht zuletzt soziale Implikationen, die bislang wenig Beachtung fanden. Daher genügt es einfach nicht, sich allein an den Stromverbrauch der Rechenzentren zu klammern.
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Wege der soziotechnischen Innovationen

  • Worin besteht die größere Herausforderung: in der Entwicklung neuer Algorithmen, schnellerer Rechenplattformen, neuer technischer Lösungen oder in der Organisation von Infrastruktur?
  • Rainer Rehak: Wir sollten ausgehend von der aktuellen KI-Daten- und Algorithmen-zentrierten Euphorie den Blick wieder weiten und nun all das miteinbeziehen, was wir organisational, politisch und gesellschaftlich bis jetzt gelernt haben.33 Es geht meines Erachtens nun vor allem um die Frage der Organisation einer neuen, an Nachhaltigkeit ausgerichteten (Daten-) Wirtschaft. Wir haben die Möglichkeiten dessen, was wir mit KI-Methoden für die Nachhaltigkeit erreichen können, bereits einigermaßen verstanden. Daher besteht nun die Aufgabe darin, dafür zu sorgen, die technischen Möglichkeiten in den Nutzungskontext und in soziale Innovation einzubetten, also in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen.
  • Wie sollte das gehen?
  • Rainer Rehak: Hier stehen Fragen der Co-Kreation beim Erdenken und Implementieren der Ansätze im Fokus. Mit kreativen Policy- Instrumenten wie der EEG-Umlage oder dezentralen Bürger- Energie-Konzepten haben wir so etwas schon in anderen Bereichen geschafft. Wir sollen nun den vorhandenen Policy- Baukasten zu einer kohärenten, wissenschaftsbasierten Strategie zusammenziehen und Lösungen über alle Sektoren hinweg konkretisieren und politisch implementieren. Das reicht von transdisziplinären Forschungsanstrengungen über kreatives Handwerken bis hin zu den sozialen Innovationen, die erdacht und gelebt werden müssen, um diese gesellschaftliche Riesenaufgabe gemeinsam zu meistern. Aber das kann nicht primär von unten oder von der Technik her geschehen. Um als Techniker abschließend sehr deutlich zu werden: Ich sehe ehrlicherweise keinerlei Anhaltspunkte in der Informatik und speziell in der KI-Forschung, dass wir bald einen technischen Game-Changer hervorbringen werden, der die anstehenden politischen Aufgaben und gesellschaftlich nötigen Lösungswege fundamental vereinfacht. Erst wenn die Verantwortlichen in den Machtpositionen wirklich wollen, kann die sozial-ökologische Transformation starten, aber dieses Wollen kann uns die Technik leider nicht abnehmen.
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Projekt

Bits & Bäume

Das 2018 ins Leben gerufene Konferenz- und Tagungsformat „Bits & Bäume“ adressiert Fragen und Themen, die an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit liegen. Es vernetzt über Aufrufe zu Programmbeiträgen zu Schwerpunktthemen vor allem akademische Akteure wie Studierende, Professorinnen, Professoren sowie Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten. Der öffentliche Aufruf zur Beteiligung gilt als wesentlich, damit Ideen und Menschen einbezogen werden können, die noch nicht bekannt sind. Auf diese Weise soll das Entstehen neuer Netzwerke ermöglicht werden. Akteure aus Politik oder Wirtschaft werden nicht primär angesprochen, sind aber willkommen.

Aktiv beitragende Teilnehmer können nur dann mitwirken, wenn sie sich hinter elf programmatische Forderungen1 stellen, die im Rahmen des ersten Kongresses entwickelt wurden. Diese stellen die programmatischen Leitplanken von „Bits & Bäume“ dar. Damit eröffnen die Initiatorinnen und Initiatoren der Veranstaltungsreihe auch anderen Personen und Organisationen die Möglichkeit, Veranstaltungen unter dem Label von „Bits & Bäume“ selbständig durchzuführen. Die Organisatorinnen und Organisatoren verpflichten sich selbst dazu, die von ihnen ins Leben gerufenen und kuratierten „Bits & Bäume“-Veranstaltungen selbst so nachhaltig wie möglich zu gestalten: von der Zusammenarbeit mit Kollektiven über die Nutzung freier Lizenzen und Software bis hin zu veganer und ökologischer Verpflegung. Außerdem sollen sie Zeit und Raum zum Austausch und für Vernetzung bereitstellen.

Hintergrund

Commoning

Commoning ist ein traditioneller Ansatz, mit gemeinsam genutzten Dingen umzugehen. Beispielsweise musste eine Gemeinde bei Dorfwiesen, sogenannten Allmende-Wiesen, klären, wie diese gemeinschaftlich genutzt werden. Sie gehörten keinen Einzelpersonen, sondern alle Gemeinschaftsmitglieder sollten dauerhaft etwas von ihnen haben. Dazu gehört die Idee der Allmende: Alle, die eine bestimmte Ressource nutzen wollen, geben sich selbst Regeln für die faire Nutzung und kümmern sich aktiv um den Erhalt der Ressource, der Allmende, engl. Commons genannt. Physische Dinge können als Commons behandelt werden wie etwa Häuser, Parks oder Spielplätze, aber auch digitale Bereiche wie etwa Wissensdatenbanken, Kartendaten oder auch Software. Beim Commoning werden etwa Teile einer Stadt oder eines Dorfes gemeinsam verwaltet, die Daten einer digitalen Stadt oder eines Landkreises können ebenfalls als Commons behandelt werden, also als digitale Gemeingüter. Freie Lizenzen können dazu beitragen, die Allmende langfristig zugänglich zu halten. Außerdem können strukturelle Vorteile beispielsweise von großen Unternehmen ausgeschlossen werden.

Commons entstehen im alltäglichen Miteinander, in der bewussten Selbstorganisation der Gleichrangigen und in der gemeinsamen Befriedigung von Bedürfnissen. Commons stellen damit jenseits von Markt und Staat selbstorganisierte Räume der Zusammenarbeit dar. Beispielsweise könnten Gemeinschaftsmitglieder in Peer-to-Peer-Prozessen Güter des täglichen Lebensbedarfs herstellen. Auch Werkzeuge, Produkte oder sogar ganze Häuser können ähnlich wie Wikipedia in einem gemeinsamen Miteinander entstehen. Für das Commoning wesentlich ist, dass das Soziale in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird. Soziale Regeln spielen eine entscheidende Rolle, um ein freies, faires Arbeiten und Leben zu ermöglichen. Dies kann gelingen, wenn Menschen in ein „Wir“ hineinwachsen. Nelson Mandela erklärte das südafrikanische Ubuntu-Denken so: „Ich bin, weil wir sind.“ Ubuntu ist auch der Name einer erfolgreichen Linux- Distribution. Commons können sich dann besser entfalten, wenn sie politisch dabei unterstützt werden, institutionelle Formen zu entwickeln. Der Staat könnte beispielsweise aktiv werden, um selbstorganisierte Strukturen im Sinne des Gemeinwohls auf stabilere Füße zu stellen. Das fängt an bei der Anerkennung von Gemeinnützigkeit und endet bei der Bereitstellung von Förderprogrammen, die auch kleinste Projekte unterstützen und die Vernetzung mit ähnlichen Projekten voranbringen.

Literatur

Helfrich, S., Bollier, D. (2019): Frei, fair und lebendig. Die Macht der Commons. transcript Verlag.

Höfner, A., Frick, V. (2019): Was Bits & Bäume verbindet. Digitalisierung nachhaltig gestalten. Oekom Verlag.

Illich, I. (1975): Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Reinbek: Rowohlt.

Mazzucato, M. (2018): The Value of Everything: Making and Taking in the Global Economy. Allen Lane.

Ostrom, E., Helfrich, S. (2011): Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Oekom Verlag.

Das Interview mit Rainer Rehak führte die Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragten Publikationsprojektes zum Thema „KI und Nachhaltigkeit“. Die vollständige Publikation steht als PDF zum Download zur Verfügung.