Interview

Janina Nakladal:

Nachhaltigkeit in

der unternehmerischen

Prozessanalyse

Zur Person

Janina Nakladal ist seit 2020 Director of Sustainability bei dem Softwareunternehmen Celonis in München, dem sie seit 2018 angehört. Nach dem Aufbau des Academic-Alliance-Teams zur Zusammenarbeit mit globalen Bildungseinrichtungen entwickelt sie nun das globale Nachhaltigkeitsprogramm. Davor arbeitete sie bei den Vereinten Nationen in Genf an der Entwicklung eines Rahmenwerks zu ressourcenbasiertem Management in unterschiedlichen Suborganisationen der UN mit. Bei den Siemens Healthineers war sie über mehrere Jahre im Customer Service Marketing tätig und untersuchte dort insbesondere die unternehmens- und kundenorientierte Erfolgsmessung industrieller Dienstleistungen. Ihr Studium absolvierte sie an der Ingolstadt School of Management der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in den Disziplinen Betriebswirtschaftslehre und Ökonomie, mit den Schwerpunkten auf Nachhaltigkeit und Medienwirtschaft.

Essential

Janina Nakladal arbeitet in ihrer Rolle als Director of Sustainability bei Celonis mit allen Abteilungen zusammen und sorgt dafür, dass sozialökologische Aspekte in der Strategie- und Konzeptentwicklung, aber auch der konkreten Produktentwicklung stärker berücksichtigt werden. Dazu gehören vor allem die Abfallreduktion in Unternehmensprozessen sowie die CO2-Nachverfolgung in Lieferketten. In der Beschaffungslösung von Celonis wurde auf ihr Hinwirken das Thema nachhaltiges Lieferantenmanagement in die Entwicklungsroadmap aufgenommen.

Laut Nakladal liegt der Ausschuss oder Abfall in der Industrieproduktion durchschnittlich über Celonis-Kunden hinweg bei etwa 15 bis 25 Prozent. Mit einer besseren Planung und Optimierung des Produktionsmanagements lasse sich ein Teil des Abfalls reduzieren, wobei dies häufig noch manuelles Eingreifen erfordere. Dies könne KI-gestützt stärker automatisiert werden. Ein Celonis-Kunde – ein Unternehmen aus der Automobilbranche – konnte laut Nakladal mit Prozessoptimierung den Produktionsprozess nicht nur beschleunigen, sondern auch ressourcenschonend die Ausschussrate auf nahezu null bringen.

 

Laut Nakladal bereiten sich bereits viele Unternehmen auf die Umsetzung des Lieferkettengesetzes vor. Mit der Celonis-Lösung könne mit Cluster-Analysen und besserer Segmentierung des Lieferantenportfolios eine größere Transparenz hergestellt werden. Einzelne Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können auf Basis automatisierter Handlungsempfehlungen Lieferanten auswählen, die ökologische und sozial-nachhaltige Kriterien erfüllen. Eine Online-Modeplattform setzt dazu die Lösung von Celonis in der Beschaffung ein.

Die Erhöhung der Datenqualität hält Nakladal für die größte Herausforderung im Nachhaltigkeitsmanagement. Die Angaben zu Nachhaltigkeitsbewertungen von Lieferanten können von Drittanbietern stammen, deren Dienste die Celonis-Kunden nutzen. Oftmals beziehen sich diese Daten auf ein gesamtes Unternehmen, nur selten auf bestimmte Produkte oder Materialien. Laut Nakladal gehe es im Moment den Kunden hauptsächlich darum, überhaupt eine Bewertung zu einem Lieferanten zu erhalten. Diese Bewertungen können in das Celonis-System integriert werden. Der Kunde kann zudem eine vom System errechnete Kennzahl nutzen oder bestimmte Faktoren für eine eigene Kennzahl anders gewichten. Zu Scope-3-Emissionen lassen sich noch keine sicheren Aussagen treffen.

Im Logistikbereich lassen sich laut Nakladal mit Process Mining CO2-Emissionen deutlich verringern, wenn ein Unternehmen den Transport effizienter steuert, um gleichzeitig pünktliche Lieferungen zu erreichen. Sie erläutert dies am Beispiel eines Celonis-Kunden, der mithilfe von Process Mining sein 24-Stunden-Lieferversprechen durch bessere Planung einhalten kann. Ein anderer Kunde konnte den CO2-Fußabdruck des Unternehmens deutlich reduzieren, indem er die häufigsten Transportrouten mit Blick auf das umweltfreundlichste Transportmedium analysierte. Teilweise reicht die Optimierung der Logistikprozesse in den Produktionsbereich hinein. Im Fall eines anderen Kunden aus der Industrie konnte in mehreren Geschäftsbereichen eine um 24 Prozent höhere Prozessautomatisierung erreicht werden, womit 1,5 Millionen zusätzliche Güter pünktlich ausgeliefert werden konnten. Hierfür kommen verschiedene KI-Methoden zum Einsatz.

Unternehmen erreichen laut Nakladal mit Process Mining sowohl einen ökonomischen Vorteil wie auch eine Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit. Sie betont, dass globale Standards die Messbarkeit von Nachhaltigkeitseffekten einfacher machen könnten, beispielsweise bei der Verknüpfung verschiedener Datenquellen, um CO2-Emissionen messbar zu machen.

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Interview

Nachhaltigkeit in der unternehmerischen Prozessanalyse

  • Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und KI bei Celonis? Was ist Ihre Rolle hierbei?
  • Janina Nakladal: Nachhaltigkeit ist einer der Kernwerte des Unternehmens. Wir beziehen uns dabei auf ökologische, sozial und gesellschaftlich nachhaltige Faktoren. Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin kann sich beteiligen. Wir bilden Nachhaltigkeit in allen Projekten, Produkten, Prozessen ab. Mit unseren Lösungen können wir positive Effekte multiplizieren, da wir sie auf unsere sehr große Kunden- und Partnerbasis übertragen können.

Um die zentrale Rolle von Nachhaltigkeit unternehmensintern zu betonen und auch für eine entsprechende Umsetzung zu sorgen, wurde die Position des Director of Sustainability geschaffen. Sie ist als Stabsstelle direkt unter dem Gründer aufgehängt. Sie berichtet an ihn und wird global über alle Abteilungen hinweg tätig. Meine Rolle im Unternehmen ist es, die Definition von Nachhaltigkeit über die Firma hinweg zu ermitteln und festzulegen, die Strategie mit allen Anspruchsgruppen gemeinsam zu definieren und dann für die Umsetzung zu sorgen.

  • Ihre Position gibt es erst seit Mitte 2020. Konnten Sie zur Veränderung des Softwareprodukts von Celonis bereits beitragen?
  • Janina Nakladal: Meine Position gibt es zwar noch nicht so lange, aber das Thema war schon immer Teil der Firma. Gleichwohl haben wir jetzt konkrete Handlungsfelder definiert, in denen Nachhaltigkeit in Prozessen eine konkrete Rolle spielt. Dabei handelt es sich um die Abfallreduktion in Prozessen, die CO2-Nachverfolgung in Prozessen und Lieferketten und eine Beschaffung basierend auf Nachhaltigkeitskriterien. Zu diesen Themen habe ich mich mit den Produktmanagern und Solution Engineers zusammengesetzt, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die diese Aspekte stärker bei den Kunden platzieren.
  • Wie ändern sich die Process-Mining-Lösungen von Celonis durch Ihr Mitwirken?
  • Janina Nakladal: In der Produktentwicklung für unsere Beschaffungslösung zum Beispiel wurde das Thema Nachhaltigkeit in die Roadmap aufgenommen. Das heißt, es werden technische Komponenten entwickelt, um mit neuen technischen Schnittstellen und Partnerschaften für den erweiterten Zugang zu Daten in Fragen der Nachhaltigkeit noch mehr möglich zu machen.
  • Was kann man KI-gestützt im Process Mining lernen? Wie umfassend ist der KI-Einsatz?
  • Janina Nakladal: Es geht zunächst einmal darum, bestimmte Daten aus den Systemen sichtbar zu machen. Die Prozessanalyse findet nicht entlang eines theoretischen Prozessmodells statt. Es werden Daten, die in IT-Systemen entstehen, ausgelesen und entsprechend sichtbar gemacht. In dem Moment, in dem diese Daten sichtbar sind und über Process-Mining-Algorithmen in Prozessabläufen visualisiert und analysiert werden können, kommen sehr früh auch Machine-Learning-Integrationen zum Einsatz.

Minimierung von Ausschuss und Abfall

  • Wie kann der Ausschuss und Abfall in der Produktion KI-gestützt minimiert werden?
  • Janina Nakladal: Häufig liegt der Ausschuss oder Abfall in der Industrieproduktion durchschnittlich über Celonis-Kunden hinweg bei etwa 15 bis 25 Prozent jährlich. Ein Großteil davon kann reduziert werden, indem die Produktion mittels Prozessanalyse transparenter gemacht wird, womit eine bessere Planung und Optimierung des Produktionsmanagements möglich wird. Damit kann ein Teil des Abfalls reduziert werden. Das beinhaltet häufig noch manuelles Eingreifen, auch müssen Experten in die Planung einbezogen werden. Durch die Nutzung von KI kann dies stärker automatisiert werden.

Machine-Learning-Algorithmen klassifizieren verschiedene Prozessvarianten nach Ähnlichkeit. Mit Attribut-Entscheidungen lassen sich Unterschiede nach Materialgruppe oder über verschiedene Produktionsstätten untersuchen. Das kann mit Methoden wie Random Forest oder Naïve Bayes funktionieren. Über diese Ähnlichkeitsklassifizierungen kann ein Unternehmen erkennen, wo es von anderen Produktionsabläufen noch besser lernen könnte, um den Ausschuss mithilfe von Prozessoptimierung zu reduzieren. Beispielsweise konnte einer unserer Kunden aus der Automobilbranche mit Prozessoptimierung den Produktionsprozess nicht nur beschleunigen, was einen finanziellen Vorteil mit sich bringt, sondern auch die Ausschussrate auf nahezu null bringen.

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Transparenz in der Lieferkette

  • Wie kann mehr ESG-Transparenz in der Lieferkette hergestellt und optimiert werden?
  • Janina Nakladal: Das ist im Hinblick auf das Lieferkettengesetz das spannendste Thema. Bei vielen Unternehmen steht das ganz oben auf der Tagesordnung. Die grundsätzliche Herausforderung besteht darin, dass viele Unternehmen derzeit noch mittels Umfragen oder in einem engen Austausch mit den Lieferanten Transparenz schaffen. Das kostet viel Zeit und liefert nicht immer die gewünschten Ergebnisse. Studien beispielsweise der Stern School of Business der New York University besagen aber, dass sich über nachhaltig gelieferte oder beschaffte Produkte der Verkaufsumsatz um das bis zu Sechsfache steigern lässt.1

Mit Cluster-Analysen und besserer Segmentierung des Lieferantenportfolios kann unsere Lösung hier mehr Transparenz herstellen. Mit Assoziations-Analysen kann man automatisiert nach Ursachen suchen, warum es zu bestimmten Werten kommt. Über Process-Mining und die Kombination der Datenmodelle lässt sich deutlich mehr Transparenz in der Lieferkette schaffen. Die Erzeugung dieser Datenquellen erfolgt deutlich automatisierter. Beispielsweise lassen sich automatisch Umfragen anstoßen oder automatische E-Mails an die Lieferanten schicken, die bestimmte Ratings abfragen und so die Nachhaltigkeit der Lieferanten ermitteln.

  • Welche Handlungsmöglichkeiten erschließen sich aus der verbesserten Transparenz?
  • Janina Nakladal: Diese Ergebnisse lassen sich automatisch in einer Analyse darstellen, womit Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Diese lassen sich regelbasiert den Mitarbeitern mitgeben, sodass sie wissen, wie sie mit diesen Ratings und mit diesen Informationen umgehen sollen. Die Lieferanten können auch mit dem Ziel geclustert werden, einen bestimmten ESG-Wert zu erhöhen. Die Mitarbeiter in der Beschaffung erhalten dann verschiedene Hinweise bei Bestellungen bei der Auswahl von Lieferanten, die ein verbessertes ESGRating haben.
  • Welches Unternehmen optimiert so bereits seine Lieferkette?
  • Janina Nakladal: Eine führende Online-Plattform für Mode setzt Celonis unter anderem in der Beschaffung ein. Das Unternehmen lässt sich Machine-Learning-unterstützt im Rahmen der Bestellung Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Die sogenannte Celonis Action Engine liest aus den Daten kontinuierlich ab, was im Hintergrund passiert, lernt aus den Daten und gibt dann intelligente Handlungsempfehlungen, damit Mitarbeiter bei Bestellungen gleich direkt bestimmte Lieferanten auswählen können, dafür bestimmte Texte verwenden können und somit proaktiv, aber auch sehr koordiniert die Beschaffung optimal an bestimmten Zielen ausrichten können.

Datenqualität zu Lieferketten

  • Wie gut ist die Datenbasis mit den ESG-Angaben über Lieferanten? Stammen die Daten von den Lieferanten selbst oder werden Daten von Drittanbietern verwendet?
  • Janina Nakladal: Das handhaben unsere Kunden sehr unterschiedlich. Es gibt Drittanbieter wie EcoVadis, die sich auf diese Ratings spezialisiert haben und das als Service anbieten. Sie sorgen dafür, dass die Lieferanten befragt werden und die Ratings basierend auf einer wissenschaftlichen Methode an den Kunden zurückgespielt werden, damit diese damit arbeiten können. Mit EcoVadis kooperiert Celonis in einer strategischen Partnerschaft und sorgt für eine reibungslose und nutzbare Integration der Daten in den Beschaffungsprozess in Celonis. Aus meiner Perspektive als Nachhaltigkeitsmanagerin ist es eines der großen Probleme, dass wir hier noch zu wenige Standards haben.
  • Wie hochauflösend sind die ESG-Lieferantendaten? Beziehen sie sich auf das ganze Unternehmen, auf Produktgruppen oder einzelne Materialien?
  • Janina Nakladal: Im Regelfall auf das ganze Unternehmen, aber auch die Datengrundlagen für einzelne Materialien verbessern sich hinsichtlich CO2-Bilanz oder Menschenrechtsbewertungen. Hier geschieht gerade viel. Häufig handelt es sich um verteilte Datenquellen. Celonis hilft dem Kunden dabei, diese verschiedenen Quellen zu verknüpfen. Die Daten können über eine Kennzahl abgebildet werden, der Kunden kann aber auch diese selbst berechnen, wenn er bestimmte Faktoren stärker gewichten möchte als andere. Auch hat der Kunde die Möglichkeit, diese Drittanbieter-Schnittstelle in Celonis zu integrieren und die Daten, die er zuvor vom Drittanbieter vielleicht in einer Excel-Tabelle bekommen hat, in Celonis sichtbar zu machen und sie bei jeder Bestellung zu berücksichtigen.
  • Wird die Qualität der Daten mitbewertet?
  • Janina Nakladal: Das hängt mit der Zielsetzung der Unternehmen zusammen, die häufig lautet: Wir möchten den Anteil nachhaltig bewerteter Lieferanten in unserer Beschaffung erhöhen. Wir sind von der Datengrundlage her meistens nicht in der Lage, die Herkunft aller Komponenten eines Produkts bis ins kleinste Detail nachverfolgen zu können. Daher ist es für Unternehmen schon eine große Unterstützung, eine Aussage darüber zu haben, ob ein Lieferant überhaupt schon bewertet wurde. Die Drittanbieter führen durchaus umfassende Bewertungen mit verschiedenen Komponenten durch – auf Basis von Medienberichten, Unternehmensbilanzen, Unternehmensbefragungen und mehr. Es kommen also verschiedene Methoden zum Einsatz, um eine finale Bewertung zu erstellen.
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Unsicherheiten bewerten

  • Kann der Mitarbeiter im Unternehmen die vermutete Unsicherheit in den Daten erkennen und berücksichtigen?
  • Janina Nakladal: Die Verbesserung der Datenqualität ist die größte Herausforderung im Nachhaltigkeitsmanagement. Wenn es für ein Unternehmen entscheidend ist zu sagen, dass es jetzt hier nur eine globale Bewertung und nicht eine Bewertung auf Produktebene ist, dann kann es das anzeigen lassen. Das kann es als Hinweis an seine Mitarbeiter geben und in Handlungsempfehlungen berücksichtigen. Viele unserer Kunden sind im Moment daran interessiert zu sehen, welche ihrer Lieferanten noch nicht bewertet sind. Sie wollen verstehen, warum der Lieferant sich vielleicht nicht bewerten lassen möchte oder warum die Daten fehlen.
  • Wie stark quantifiziert sind die ESG-Aussagen?
  • Janina Nakladal: Das lässt sich nicht genau definieren. Das hängt auch stark vom Unternehmen ab, auch davon, ob man sich die direkte oder indirekte Beschaffung anschaut. Bei diesem Thema muss noch viel passieren und die einzelnen Stakeholder müssen noch viel intensiver zusammenarbeiten. Wie die Kunden sind auch wir davon abhängig, wie gut die Datengrundlage ist.
  • Wie gut sind die Aussagen zum CO2-Fußabdruck? Inwieweit lassen sich bereits Aussagen in Bezug auf Scope 3 treffen, der alle indirekten Emissionen eines Unternehmens abbildet?
  • Janina Nakladal: Nur teilweise. Sope 3 ist die größte Herausforderung. Wir sehen erste Beispiele. Wir haben gemeinsam mit unserem Partner EY eine App prototypisch2 entwickelt, die tatsächlich in der Produktion bis Scope 3 geht. Wir versuchen also Scope 3 darzustellen, aber das ist immer mit einer Unsicherheit verbunden.
  • Lässt sich abschätzen, wie groß diese Unsicherheit ist?
  • Janina Nakladal: Wir haben zwar dieses eine Beispiel, aber wir können dazu keine allgemeine Aussage treffen. Es hängt von der Branche ab, von der Größe des Unternehmens, vom Produkt, von den Materialien. Das ist noch zu komplex.

Logistik und Transport

  • Wie genau lässt sich Transport in Richtung Schnelligkeit und CO2-Verbrauch optimieren?
  • Janina Nakladal: Die Schnelligkeit des Transports steht bei den Kunden ganz oben auf der Tagesordnung. Hier gibt es eine interessante Verbindung zu den damit verbundenen CO2-Emissionen: In dem Moment, in dem ein Unternehmen seinen Transport insgesamt besser und effizienter managt und damit eine pünktliche Lieferung sicherstellen kann und so seine gesamte Wertschöpfungskette beschleunigt, führt das in vielen Fällen zu einer wertschöpfungsbezogenen CO2-Reduktion. Denn wenn das Unternehmen seine Lieferkette besser unter Kontrolle hat, wird es beispielsweise seltener vorkommen, dass in letzter Minute auf ein Flugzeug umgestiegen wird oder halb leere Container verschifft werden. Außerdem können die CO2-Emissionen als eine zusätzliche Zielgröße dargestellt und genutzt werden, die optimiert werden soll. Sie werden dann bei jeder Entscheidung berücksichtigt, beispielsweise, wenn es um das Transportmittel oder den Lieferweg geht. Der berühmte Trade-off zwischen Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit lässt sich so transparent machen und besser steuern.
  • Können Sie das an einem Beispiel genauer erklären?
  • Janina Nakladal: Einer unserer Kunden ist Mittelständler und verteilt elektronische Bauteile. Sein Wettbewerbsvorteil besteht in einem 24-Stunden-Lieferversprechen. Um das einzuhalten, nutzt er unsere Process-Mining-Lösung. Hier laufen im Hintergrund die Machine-Learning-Algorithmen mit und über die sogenannte Celonis Action Engine werden in Echtzeit Handlungsempfehlungen an die Mitarbeiter geschickt. Die Mitarbeiter bekommen Tipps, auch konkrete Anweisungen, wie sie bestimmte Maßnahmen ausführen können, um schnelle Lieferungen sicherzustellen. Es geht nicht nur darum, die Lieferung und den Transport zu beschleunigen, sondern auch darum, die Bestellungen richtig zu verpacken und etwas früher loszuschicken, damit das auf jeden Fall pünktlich da ist. Oder es geht darum, eine Route zu optimieren, um damit sicherzustellen, dass die Lieferung schneller erfolgt und das richtige Transportmittel genutzt wird. So schafft der Kunde es tatsächlich, sein ambitioniertes Lieferversprechen einzuhalten.
  • Inwieweit kann die Wahl des Transportmittels in Richtung ökologische Nachhaltigkeit optimiert werden?
  • Janina Nakladal: Eine Bestellung muss vielleicht nicht per Flugzeug verschickt werden, um rechtzeitig zum Kunden zu kommen. Das heißt, ich kann die Anforderung auch so formulieren: Zu diesem Zeitpunkt sollte die Bestellung ausgeliefert werden und ich möchte ein umweltfreundliches Transportmedium. Die Frage ist, welche Auswirkungen das vielleicht auf meine Produktion oder auf meine Konsolidierung der Bestellung zu Beginn des Prozesses hat. Vielleicht erhalte ich dann rechtzeitiger den Anstoß, die Bestellung zu kommissionieren, damit sie umweltfreundlich und pünktlich beim Kunden ankommt. Ein Pumpenhersteller beispielsweise konnte innerhalb weniger Monate etwa 150 Tonnen CO2-Emissionen allein aufgrund einer Analyse der häufigsten Routen im Transportbereich einsparen. Es stellte sich heraus, dass für bestimmte Produkte keine perfekten Routen und damit auch umweltschädliche Transportmittel und längere Lieferdistanzen ausgewählt worden waren, obwohl dies möglich gewesen wäre.
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  • Das heißt, dass das Unternehmen auch seine Prozesse bereits vor dem Transportzeitpunkt optimieren kann. In welchem Umfang ist das möglich?
  • Janina Nakladal: Einer unserer größten Kunden mit einer hohen Prozesskomplexität hat über verschiedene Prozesse hinweg 300 Millionen Aktivitäten und 923.000 Prozessvarianten in mehreren Geschäftsbereichen. Mit Process Mining konnte eine um 24 Prozent höhere Prozessautomatisierung erreicht werden. Im Bereich Operations und Manufacturing wurde durch Prozessoptimierung die pünktliche Lieferung von 1,5 Millionen zusätzlichen Gütern in unterschiedlichen Bestellungen sichergestellt. Dadurch wurde ein ökonomischer Wert von 8,7 Millionen Euro über alle Bestellungen hinweg erzeugt.
  • Können Sie kurz erklären, mit welchen Methoden die Lieferzeiten optimiert werden?
  • Janina Nakladal: Mit verschiedenen Regressionsverfahren oder Forecasting- Methoden lassen sich Zeitreihenanalysen vornehmen und damit Lieferzeiten besser prognostizieren. Entsprechend lassen sich vorher die Materialplanung optimieren und der Lieferprozess insgesamt beschleunigen. Mit Klassifikationsalgorithmen lässt sich prognostizieren, wie viele der Lieferungen fristgerecht stattfinden werden. Damit kann der Start der Transportkette optimal ablaufen. Mithilfe von Assoziationsanalysen können Ursachen automatisch analysiert werden. So lässt sich beispielsweise erkennen, bei welchem Lieferanten oder bei welchen Produkten es besonders kritisch ist. Entsprechend lassen sich die Bestellungen intelligenter planen und die Transportketten von Beginn an besser aufstellen.

Nachhaltigkeit als Mitnahmeeffekt

  • Ist ökologische Nachhaltigkeit also ein Mitnahmeeffekt des Process Mining, der sich immer einstellt?
  • Janina Nakladal: Ökologische Nachhaltigkeit ist natürlich auch ein Mitnahmeeffekt, wenn ich den Unternehmensprozess effizienter mache, dadurch Ressourcen einspare, Abfall wie auch Ineffizienzen reduziere, um dann Investitionen für Innovationen zu nutzen, welche die ESG-Kennzahlen verbessern. Die Kunst besteht nun darin, diese Nachhaltigkeitseffekte noch stärker messbar zu machen. Dabei geht es auch um die Frage, wie CO2-Emissionen standardisiert gemessen und berechnet werden und wie verschiedene Datenquellen hierfür miteinander verknüpft werden können.
  • Wie hoch ist der Stellenwert von Nachhaltigkeit bei den Kunden?
  • Janina Nakladal: Wir arbeiten global mit Unternehmen aus verschiedensten Branchen zusammen, darunter sind viele Großunternehmen. Es gibt nahezu keinen Kunden mehr, der Nachhaltigkeit nicht auf der strategischen Agenda stehen hat. Die Frage ist, wie eine Nachhaltigkeitsstrategie im Unternehmen konkret umgesetzt werden kann. Das Besondere an der Technologie von Celonis besteht darin, dass die Prozessoptimierung sowohl einen wirtschaftlichen Vorteil bringt wie auch einen Nachhaltigkeitsvorteil. Allein diese Kombination ist für viele Kunden bereits entscheidend, weil sie somit zwei strategische Unternehmensziele zusammenbringen können. Alles findet automatisiert in einem Prozess statt und jeder Mitarbeiter ist daran beteiligt. Das ist für mich ein signifikanter Hebel. Wenn man das erweitert, lassen sich noch größere Mengen an CO2-Emissionen reduzieren.
  • Wie entwickelt sich derzeit die Nachfrage nach Process-Mining-Lösungen?
  • Janina Nakladal: Wir sehen eine steigende Nachfrage insbesondere bei Prozessen wie der Beschaffung und der Logistik, aber auch in der Produktion. Wir sehen, dass bei den Kunden neue Abteilungen oder auch sogenannte Exzellenzzentren geschaffen werden. Und es werden neue Rollen, neue Jobs geschaffen, die dafür sorgen, dass dieses Thema insgesamt vorangetrieben wird. Das ist für viele Unternehmen Priorität, weil die Software zeigt, wo Einsparpotenziale sind, die das Unternehmen für sich nutzen kann. Wir sehen, dass Unternehmen in Hinblick darauf neue Kennzahlen entwickeln, und auch dass sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren und so in der Belegschaft eine Begeisterung dafür entsteht, Prozesse effizienter zu gestalten.
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Projekt

Celonis

Das Münchner Unternehmen Celonis gilt als Pionier und Marktführer im Bereich Process Mining und Execution Management Systems (EMS). Es unterstützt Unternehmen durch die intelligente Nutzung der in ihren IT-Systemen bereits vorhandenen Daten dabei, Kapazitäten zur Maximierung der Unternehmensperformance freizusetzen. Dazu werden KI-gestützt Verbesserungsmaßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette empfohlen, um die Prozesseffizienz zu erhöhen.

Das Unternehmen mit Hauptsitz in München und New York sowie weltweit 15 Niederlassungen gehört mit einer Bewertung von 11 Milliarden US-Dollar zu den erfolgreichsten europäischen Neugründungen der letzten zehn Jahre. Als Bastian Nominacher, Alexander Rinke und Martin Klenk das Unternehmen 2011 gründeten, finanzierten sie es zunächst aus eigener Kraft. Erst seit 2016 stiegen mehrere Investoren ein, darunter Qualtrics-CEO Ryan Smith. Celonis ist nicht börsengelistet.

Die drei Gründer hatten im Rahmen der studentischen Beratung Academy Consult München e. V. ein Projekt beim Bayerischen Rundfunk durchgeführt. Dabei ging es darum, dessen IT-Service-Managementprozess zu optimieren. Da die damals üblichen Methoden der Prozessmodellierung und -optimierung angesichts der Vielfalt der Prozessvarianten nicht die gewünschten Ergebnisse zeigten, befassten sie sich mit der Methode des Process Mining, die der niederländische Professor Wil van der Aalst entwickelt hatte. Darauf basierend entwickelten sie eine Analysesoftware. Um die Anwendung für die Industrie nutzbar zu machen, gründeten sie Celonis.

Zu den ersten Kunden gehören Großunternehmen wie Siemens, das Celonis zur Prozessoptimierung einsetzt. Die Celonis-Software wird in Zusammenarbeit mit den Kunden ständig angepasst und weiterentwickelt. Celonis-Kunden können inzwischen selbst eine KI-Workbench nutzen, mit der sie die Algorithmen mit ihren Unternehmensdaten anpassen und damit ihre spezifische Lösung entwickeln können.

Celonis entwickelt auch Lösungen für spezifische Herausforderungen wie die der Corona-Pandemie. Hierfür hat das Unternehmen ein spezielles COVID-19-Customer-Care-Programm aufgesetzt, mithilfe dessen Unternehmen eine bessere Transparenz über ihre Lieferantenbasis herstellen und somit ihre Lieferketten aufrechterhalten können. Beispielsweise lassen sich Lieferanten mit Lieferproblemen rascher auflisten, um besser die eigenen Lieferpläne einhalten zu können. So können etwa unternehmenskritische Materialien aus von der Pandemie besonders betroffenen Regionen gezielt aussortiert und alternative Beschaffungsmaßnahmen initiiert werden. Außerdem können Unternehmen Daten aus der Kreditoren- und Debitoren-Buchhaltung für ihre Cash-Flow-Überwachung genauer analysieren.

Literatur

Reinkemeyer, L. (2020): Process Mining in Action, Principles, Use Cases and Outlook. Cham: Springer Nature Switzerland AG.

Van der Aalst, W. (2016): Process Mining, Data Science in Action, Berlin: Springer.

Van der Aalst, W. et al. (2012): Process Mining Manifesto, in: Daniel, F. et al. (Hrsg.), Business Process Management Workshops [S. 169 – 194]. Berlin: Springer.

Das Interview mit Janina Nakladal führte die Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragten Publikationsprojektes zum Thema „KI und Nachhaltigkeit“. Die vollständige Publikation steht als PDF zum Download zur Verfügung.