KI-Anwendungsszenario
Das Kennenlernen
Als Bereicherung für Unternehmen und Beschäftigte sieht auch Jan-Hennig Fabian KI-basierte Assistenzsysteme. Fabian ist Leiter des Forschungszentrums beim Technologieunternehmen ABB, das den „Intelligent Knowledge Assistant“ (IKA) derzeit als Forschungsprototyp für industrielle Anlagen – etwa zur Rohstoffverarbeitung – testet und evaluiert.
Phase 1 – Ziele festlegen und Folgen abschätzen
Lana Kostic hat bemerkt, dass ihre Mitarbeitenden bei der täglichen Arbeit mehr Unterstützung benötigen. Insbesondere die zeit- und rechercheintensive Arbeit an Quartalsabschlüssen empfinden die Mitarbeitenden zunehmend als belastend.
Motiviert durch ihr Gespräch mit Herrn Winter prüft Lana Kostic, ob Künstliche Intelligenz helfen kann, die Belegschaft zu entlasten. Dabei bezieht sie die Mitarbeitenden gezielt in ihre Analyse mit ein. „Bereits vor der KI-Nutzung im Betrieb sollten Geschäftsführung und Mitarbeitende bzw. betriebliche Interessenvertretungen gemeinsam und abteilungsübergreifend die zentralen Fragen klären“, sagt Oliver Suchy, Abteilungsleiter „Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung" beim Deutschen Gewerkschaftsbund DGB und Mitglied der Plattform Lernende Systeme. „Was soll der Information-Butler eigentlich tun? Was soll er entscheiden – und was der Mensch? Und wie ist – gerade bei persönlichen Assistenzsystemen – der Umgang mit den Daten der Beschäftigten geregelt?“
Als Ziel legt die Geschäftsführerin schließlich fest, den Beschäftigten lästige Routineaufgaben abzunehmen. Die Informationsflut, mit der sie im Rahmen der Quartalsabschlüsse konfrontiert sind, soll reduziert werden. Dazu sollen die Informationen aus verschiedenen Kanälen gebündelt und passgenau für unterschiedliche Situationen aufbereitet werde.
Dabei hat sich Lana Kostic ganz bewusst dagegen entschieden, Informationen maximal anzureichern und die Arbeit ihrer Mitarbeitenden zu verdichten. Stattdessen will sie ihren Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit für deren Kernaufgaben verschaffen. Die Leitidee ist klar: Durch die Entlastung von Routineaufgaben soll den Mitarbeitenden kein neuer Stress durch zusätzliche Aufgaben entstehen, sondern Freiraum für Kreativität und Innovation. Dazu lässt Lana Kostic eine Folgenabschätzung erstellen, mit der sie die veränderten Belastungen ihrer Mitarbeitenden beurteilen kann.
Nachdem das übergreifende Ziel und die zentralen Folgen für die Mitarbeitenden klar sind, widmet sich Lana Kostic den Themen Datenerfassung, Datennutzung, Datensicherheit und Datenschutz. Auch hier bezieht sie die Beschäftigten mit ein und definiert in der Folge wichtige Einzelfragen.
„Die Unternehmensführung sollte vor dem KI-Einsatz im Betrieb die wesentlichen Fragen klären: Welche Daten – insbesondere welche persönlichen Daten der Beschäftigten – werden erhoben? Für welche Zwecke sollen sie analysiert werden? Was lernt der Information-Butler über die Person, die ihn nutzt? Wer hat Zugriff auf bzw. Einsicht in die so erfassten und analysierten Daten der Beschäftigten? Werden arbeitsrechtliche Konsequenzen auf der Grundlage der Datenerfassung und Erstellung von Mitarbeiterprofilen ausgeschlossen? Was passiert mit dem erstellten Nutzungsprofil, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen? Und welche technischen Einrichtungen zur Datensicherheit gibt es? Nicht zuletzt: Können die Beschäftigten den Butler in seinen Funktionalitäten je nach Bedarf eigenständig anpassen?
Bei all diesen Schritten ist es besonders wichtig, die Mitarbeitenden einzubeziehen, zum Beispiel durch gemeinsame Workshops mit den Systemanbietern, Expertinnen und Experten. Die Geschäftsführung sollte bereits die Zieldefinition und Folgenabschätzung zur Chefsache machen und auf der Grundlage der Beteiligungsprozesse in entsprechenden Vereinbarungen dokumentieren. So kann man Unsicherheiten begegnen, die Akzeptanz erhöhen und die Nutzung von KI-Unterstützungssystemen in einem Unternehmen nachhaltig erfolgreich gestalten.“
Oliver Suchy
Deutscher Gewerkschaftsbund DGB / Plattform Lernende Systeme
Phase 2 – Planen und Gestalten
Nun, da Lana Kostic die Ziele festgelegt und die möglichen Konsequenzen für die Beschäftigten abgeschätzt hat, geht es um die konkrete Planung und Ausgestaltung des Information-Butlers. Dabei will sie vor allem den Schutz des Einzelnen und die Vertrauenswürdigkeit des Information-Butlers sicherstellen sowie eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Mensch und Assistenzsystem und förderliche Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden schaffen (vgl. Whitepaper „Kriterien für die Mensch-Maschine-Interaktion bei KI“). Auch hier ist der Geschäftsführerin die Beteiligung der Mitarbeitenden wichtig.
Da der Information-Butler hochqualifizierte Wissensarbeit unterstützen soll, berücksichtigt Lana Kostic zusätzliche Aspekte: So dürfen die Mitarbeitenden durch die Nutzung eines Wissensassistenzsystems weder ihr inhaltliches Fachwissen noch das mit Tätigkeiten verbundene Kontextwissen verlieren. Denn zum einen müssen die Beschäftigten in der Lage sein, die Qualität der Arbeit des Information-Butlers zu überprüfen: Betont er zum Beispiel bestimmte Zusammenhänge zu stark? Oder übersieht er systematisch seltene, aber relevante Daten? Zum anderen sollten die Mitarbeitenden in der Interaktion mit dem Information-Butler nicht Qualifikationen einbüßen, sondern sich in ihren Kompetenzen weiterentwickeln.
Der Information-Butler soll die Nutzerinnen und Nutzer von wiederkehrenden, wenig anspruchsvollen Arbeiten entlasten. Dadurch sollen Mitarbeitende ihre Potenziale in anspruchsvolleren Arbeitsanteilen entfalten und entsprechende Kompetenzen ausbauen können. Dieser Aspekt ist bei der Konzeption von Anfang an mit zu bedenken. Denn er beeinflusst die Gestaltung der Arbeitsteilung und Interaktion zwischen Information-Butler und Menschen. Transparenz und Erklär- bzw. Nachvollziehbarkeit sind hierbei zusätzliche Voraussetzungen für einen Information-Butler, der die Entwicklung der Nutzerinnen und Nutzer fördert.
„Letzten Endes muss Lana Kostic festlegen, wie das Wissen zwischen KI-System und Menschen verteilt werden und bei wem das entscheidende Wissen zusammenfließen soll“, sagt Norbert Huchler, Arbeitssoziologe vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) und Mitglied der Plattform Lernende Systeme. „Um eine menschengerechte Gestaltung sicherzustellen, muss qualitativ hochwertiges Wissen auf der Seite der Beschäftigten zunehmen.“
Audio:
Norbert Huchler, Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München)
Lana Kostic verfolgt das Ziel, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig die Arbeitsbelastung der Beschäftigten zu reduzieren. Entsprechend muss die Geschäftsführung auch die „verbleibende“ Arbeit neu denken – zum Beispiel um Innovationspotenziale auszuschöpfen.
Phase 3 – Vorbereiten und implementieren
Lana Kostic hat die Ziele des KI-Einsatzes in ihrem Unternehmen festgelegt und die Einführung geplant. Nun gilt es, die Beschäftigten so gut wie möglich auf die Arbeit mit dem Information-Butler vorzubereiten. Das KI-System muss jetzt in bestehende Arbeitsprozesse integriert werden, und die Beschäftigten müssen den Information-Butler verantwortungsvoll bedienen können. Wie es gelingt, die Beschäftigten zur Erfüllung der neuen Aufgaben zu befähigen, weiß Andrea Stich, Leiterin der Frontend Academy bei Infineon Technologies und Mitglied der Plattform Lernende Systeme.
Phase 4 – Evaluieren und anpassen
Lana Kostic hat den Information-Butler erfolgreich in ihr Unternehmen eingeführt. Doch damit der Übergang ins KI-Zeitalter langfristig gelingt, muss der Einsatz des Assistenzsystems kontinuierlich überprüft, bewertet und gegebenenfalls angepasst werden. Dabei müssen die Nutzerinnen und Nutzer klar im Mittelpunkt stehen, betont Sascha Stowasser, Direktor des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. in Düsseldorf:
Die Ergebnisse ihrer Mitarbeitendenbefragung geben Lana Kostic wichtige Anhaltspunkte, um den Einsatz des Information-Butlers zu bewerten und für die Zukunft anzupassen. Die Beschäftigten empfinden die Zusammenarbeit mit dem Information-Butler grundsätzlich als positiv. Auch die Unternehmenskultur hat sich bereits verändert, da sich die Mitarbeitenden mittlerweile noch aufgeschlossener gegenüber KI-basierten Assistenzsystemen zeigen. Gleichzeitig werden immer wieder Verbesserungsvorschläge erbracht.
So bemängeln mehrere Mitarbeitende, dass der grundsätzlich sehr praktische E-Mail-Filter noch zu viele unwichtige Nachrichten passieren lässt. Auch die Kostenschätzungen des Information-Butlers empfinden sie als große Erleichterung, wünschen sich aber mehr Transparenz: Bisher sei noch oft unklar, auf welcher Datenbasis die Schätzungen zustande kommen.
Einige Beschäftigte bringen sogar zusätzliche Prozesse, Produkte oder Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit dem Information-Butler ins Spiel: So könnte der intelligente Assistent in Zukunft gleich eine mögliche Reiseplanung vorschlagen, sobald er die Einladung zu einer Veranstaltung im Postfach entdeckt. Auch bei anderen Jobprofilen im Unternehmen erscheint sein Einsatz sinnvoll, etwa in der Projektleitung oder in der Buchhaltung.
Lana Kostic freut sich über die positiven Erfahrungen und die engagierte Beteiligung ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie prüft nun mögliche Weiterentwicklungen und zusätzliche Einsatzbereiche für den Information-Butler.
„Wer KI-Systeme in einem Unternehmen einführen will, muss einiges beachten. Welche Ziele sollen damit erreicht werden? Welche Perspektiven ergeben sich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Und welche Ressourcen müssen für die Umsetzung investiert werden?
Doch der Aufwand lohnt sich! Denn Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsselinnovation für die Industrie 4.0 und für viele andere zukunftsorientierte Branchen. Nur wer sich jetzt traut, offen die Chancen und Risiken von KI-Systemen zu diskutieren, kann auch in Zukunft von ihren Möglichkeiten profitieren.“
Jan-Henning Fabian
ABB Forschungszentrum / Plattform Lernende Systeme