3 Fragen an

Jessica Heesen

Leiterin des Forschungsschwerpunktes Medienethik und Informationstechnik am Ethikzentrum der Universität Tübingen.

Demokratische Wahlen im KI-Zeitalter: „Wir brauchen guten Journalismus, Medienbildung und Eigenverantwortung“

Im Vorfeld demokratischer Wahlen warnen Expertinnen und Experten in den vergangenen Jahren verstärkt vor Versuchen, mit gezielten Falschinformationen Einfluss auf die Wahlentscheidungen zu nehmen. Während Desinformation kein neues Phänomen im politischen Schlagabtausch und Konfliktsituationen ist, kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) die Bedrohung verschärfen. Das setzt die freie Meinungsbildung als Säule der Demokratie unter Druck. Inwiefern sich mithilfe generativer KI-Anwendungen Wahlen beeinflussen lassen und was dagegen getan werden kann, erläutert Jessica Heesen im Interview. Die Philosophin und Medienethikerin leitet den Forschungsschwerpunkt Medienethik und Informationstechnik am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Eberhard Karls Universität Tübingen sowie die Arbeitsgruppe „IT-Sicherheit und Privacy, Recht und Ethik“ der Plattform Lernende Systeme.

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Inwiefern kann generative KI die demokratische Meinungsbildung beeinflussen?

Jessica Heesen: Generative KI kann täuschend echt Fotos, Videos und Stimmen von realen Personen künstlich erzeugen und manipulieren. Politikerinnen und Politikern können auf diese Weise Aussagen in den Mund gelegt werden, die sie nie gesagt haben. Kürzlich hat zum Beispiel in den USA ein mit KI gefakter Joe Biden bei potenziellen Wählern angerufen und Ratschläge zum Wahlverhalten gegeben. Es gibt aber noch weitere Missbrauchsmöglichkeiten. KI kann dazu genutzt werden, um Politikerinnen mit vermeintlichen Nacktbildern unter Druck zu setzen oder zu erpressen. Insgesamt kann durch KI ein generelles Misstrauen gegenüber Bildern und der Medienberichterstattung entstehen. Dieses Klima des Misstrauens ist schädlich für Demokratie und Meinungsbildung. Darüber hinaus können beispielsweise Populisten davon profitieren und sogar bei wahrer Berichterstattung behaupten, sie wäre falsch und ein Deepfake. Hier spricht man von einer „Lügnerdividende“.

Wenn wir an Chatbots denken – eine der weiteren prominenten Nutzungsformen generativer KI – haben wir außerdem ein Problem bei den Antworten, die die Assistenten etwa auf Fragen zu Wahlprogrammen oder politischen Persönlichkeiten geben. Die sind häufig falsch. Chatbots dürfen nicht als Suchmaschinen missverstanden werden!

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Bietet KI auch Möglichkeiten, demokratische Wahlen und offene Meinungsbildung zu stärken?

Jessica Heesen: KI kann dabei helfen, Informationen im Internet leichter zugänglich zu machen und zu personalisieren. Mit Hilfe von KI kann ich also genau die Informationen zur Wahl finden, die meinen Interessen entsprechen. Vorstellbar ist, dass KI-Systeme entwickelt werden, die ähnlich wie ein Wahl-O-Mat funktionieren. Wählerinnen und Wähler können so Parteiprogramme und Wahlaussagen unkompliziert vergleichen und die Ergebnisse gemäß ihrer Haltung gewichten. Darüber hinaus gibt es jetzt bereits Anwendungen, die die politische Färbung von Texten erkennen und dementsprechend Gegenvorschläge für andere Quellen zur Erweiterung des Meinungsspektrums machen können.

Nicht zu vergessen ist, dass KI dabei helfen kann, Falschinformationen in Sozialen Medien zu identifizieren. Und auch bei der Moderation von Chats zu politischen Diskussionen kann KI Hatespeech frühzeitig erkennen und löschen.

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Was ist jetzt tun, um offene und faire Wahlen sicherzustellen?

Jessica Heesen: Offene und faire Wahlen dürfen nicht kurzfristig von einzelnen Technologien abhängen. Es geht vielmehr darum, durch guten Journalismus sowie unabhängige und vielfältige Medien eine vertrauenswürdige öffentliche Kommunikation zu ermöglichen. Unter diesen Voraussetzungen können Falschinformationen und Deepfakes auf einer seriösen Basis identifiziert und korrigiert werden. Auch Medienbildung spielt eine herausragende Rolle. Letztlich sind wir alle dazu aufgefordert, kritisch zu denken, Medieninhalte zu prüfen und nicht leichtfertig in den Sozialen Medien zu teilen. Eine lebendige Demokratie zu gestalten, ist immer eine Herausforderung und gelingt nur mit Eigenverantwortung und stabilen Institutionen und Infrastrukturen.

 

 

Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).

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