Wie kann KI beitragen, Wohlstand zu sichern und Lebensqualität zu verbessern?

Rede von Wolf-Dieter Lukas bei der KI-Tagung des Handelsblattes

Thorsten Jochim
Wolf-Dieter Lukas, Leiter der Abteilung für Schlüsseltechnologien im BMBF. © Thorsten Jochim

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich beim Handelsblatt für die Einladung zur heutigen Veranstaltung und Möglichkeit die Perspektive eines Bundesministeriums darzustellen, bedanken.

Wir alle haben soeben die Videobotschaft von Herrn MdB Jarzombek gehört, der von der Notwendigkeit eines „Masterplanes für KI in Deutschland“ sprach. In der Analyse des Bedarfes eines solchen Masterplanes bin ich bei ihm, aber ich möchte den Fokus in meinem Beitrag auf konkrete Aktionen, konkrete Aktivitäten legen, die wir in Deutschland brauchen, damit wir die vielfältigen Potenziale der KI Technologie nutzen, um wirklich einen Beitrag für den Wohlstand und die Lebensqualität in Deutschland und Europa zu leistet.

Was zu tun ist, um erfolgreich zu sein – in diesem Fall was ist zu tun, um das volle Potenzial der KI für Deutschland zu nutzen - ist immer eine Frage der Perspektive und jeder entwickelt seine eigene Sicht auf die Dinge. Ich möchte Ihnen in den nächsten Minuten darlegen, wie das „Rezept“ des BMBF für die KI-Nutzung aussieht, welche Prozesse und welche Bestandteile es beinhaltet und mit wem wir uns an den Tisch setzen sollten, wenn es um den Einsatz von KI geht.

Um in der Analogie zum „Rezept“, zum „gemeinsamen Kochen“ zu bleiben, heißt das – Wie sieht das gelungen KI-Gericht aus, wer kocht mit und ist für was verantwortlich? Und nicht zuletzt welche Zutaten brauchen wir dafür?

Auch wenn in der Öffentlichkeit derzeit der Eindruck erweckt wird, als wäre KI etwas völlig Neues, was wie aus heiterem Himmel erschienen ist, so gilt das nicht für das BMBF und ich weiß, das auch für die Vertreter der hier anwesenden Firmen KI keine Zukunftsmusik ist, sondern gelebte Realität in ihren Unternehmen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat seit mehr als 30 Jahren in die Forschung zu KI investiert. Bereits 1988 haben wir mit der Einrichtung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) frühzeitig einen sichtbaren Schwerpunkt in der KI-Forschung gesetzt und anders als andere Länder haben wir das Thema auch vorangetrieben, als es nicht so politisch „in Mode“ war wie jetzt.

Die KI hat sich dadurch fachlich stetig weiterentwickelt. In vielen Teilgebieten der KI hat neue, verbesserte Hardware mit neuen Algorithmen zu mehr Leistung und zusätzlichen Einsatzgebieten geführt. Das heißt, wir befinden uns beim Thema KI an einer Schwelle, mit neuen Möglichkeiten, an die vor 30 Jahren nicht zu denken war. Durch den KI-Einsatz rechnet McKinsey für Deutschland bis 2030 mit 160 Mrd. höherem Bruttoinlandsprodukt. Ein Jahr zuvor rechnete McKinsey durch Industrie 4.0 bis 2025 mit 126 Mrd. höherem Bruttoinlandsprodukt in Deutschland. D.h., den Themenfeldern KI und Industrie 4.0 wird volkswirtschaftlich ein ähnliches Potenzial beigemessen. Beide sind sogenannte „game changer“ wie man auf neudeutsch sagen würde. Künstliche Intelligenz ist zwar im Kern „nur“ ein Teilgebiet der Informatik, das sich durch bestimmte Methoden und Technologien auszeichnet, aber gleichzeitig gilt es auch als die nächste wichtige Entwicklungsstufe der Digitalisierung.

Verglichen mit anderen Feldern der IT, ist Deutschland heute in der KI-Technologie auch im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Das was KI heute kann und die Potenziale die geschaffen wurden, gehen nicht zuletzt auch auf diese Förderung in Deutschland zurück, auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung und übrigens auch in der Darstellung der Presse so erscheint, - und damit meine ich niemanden der Anwesenden- als wäre KI in den USA und/China erfunden worden und alle Firmen die damit arbeiten, sitzen in diesen Regionen. Dem ist nicht so, was die Wirtschaftsvertreter, die wir hier gehört haben eindrucksvoll belegen konnten. Vieles aus Deutschland findet sich in erfolgreichen Produkten aus den USA wieder. So nutzt Google für sein Sprachübersetzer auch KI-Technik aus Deutschland, aber das derzeit beste und leistungsfähigste Übersetzungsprogramm – DeepL - kommt aus Köln und nicht aus dem Silicon-Valley.

Wir verfügen in Deutschland mit dem DFKI über das weltweit größte KI-Institut mit mehr als 900 Wissenschaftlern an sechs Standorten in Deutschland mit einem besonderen Fokus auf Transfer und Anwendung von KI Methoden. Zusammen mit den Forschungsinstituten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholz-Gemeinschaft hat Deutschland heute eine leistungsfähige Wissenschafts- und Forschungslandschaft im Bereich KI, die eng mit der Industrie durch Beteiligung und Kooperationen verbunden ist.

Zu dieser soliden F+E Basis kommt, dass, die Menschen in unserem Land die Potenziale von KI durchaus sehen. Wer heute über die Digitalisierung und ihre Auswirkung auf unser Leben von morgen spricht, spricht vor allem über Künstliche Intelligenz (KI). Diese hat ein enormes Potenzial, unsere Gesellschaft zu verändern, die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und wie wir am sozialen und politischen Leben teilhaben. Das beschäftigt die Menschen, denn sie sehen Chancen und Nutzen, aber auch Gefahren für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, unsere Werte und die Selbstbestimmung des Einzelnen. Ich glaube, dieser durchaus differenzierte Blick auf KI – weder Heilsbringer noch der Einstieg in orwellsche Alpträume - unterscheidet uns auch von anderen Regionen.

Das Potenzial von KI- und das war auch deutlich in der Videobotschaft - hat auch die Politik erkannt und deshalb ist das Thema gleich an mehreren Stellen im aktuellen Entwurf des Koalitionsvertrages verankert. Übrigens auf Basis eines breiten, parteienübergreifenden Konsens zur Bedeutung des Themas.

Viele der in Deutschland starken Branchen aus Industrie und Dienstleitung greifen schon heute auf KI Technologien zurück, wie wir auch eindrucksvoll gesehen haben. Bei Anwendungen von KI-Methoden in der Wirtschaft, insbesondere in der Produktion, der Autoindustrie, der Medizin und Logistik, aber auch dem Banken- und Versicherungswesen, ist Deutschland heute schon gut unterwegs. Hier muss weiterhin unser Ziel sein, das noch vorhandene enorme Entwicklungspotenzial bei hochqualitativen Anwendungen stärker zu nutzen und schneller zu marktfähigen Produkten und Anwendungen zu kommen. Beispielsweise können wir unseren Vorsprung bei Industrie 4.0 nutzen und die Wettbewerbsstellung der deutschen Automobilindustrie beim autonomen Fahren weiter ausbauen.

Lassen sie mich an dieser Stelle ein erstes Zwischenfazit zum Status Quo ziehen:

Wir sind in Deutschland gut vorbereitet auf die KI-Nutzung, weil:

  1. Wir seit vielen Jahren ein starke wissenschaftlich und technologische Basis aufgebaut haben
  2. Gesellschaft und Politik die Bedeutung des Themas erkannt haben und
  3. Eine ganze Reihe von deutschen oder europäischen Firmen bereits erste Erfahrungen mit KI gemacht haben und die Durchdringung der Geschäftsprozesse gerade beginnt

Das alles ist grundsätzlich positiv zu bewerten, aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass wir in vielen Bereichen im internationalen Vergleich nicht nachlassen dürfen und in bestimmten Bereichen auch noch besser werden müssen. Wir befinden uns ökonomisch in einem starken internationalen Wettbewerb um Marktanteile und das sollten wir nicht ausblenden.

Beispielhaft möchte ich hier das maschinelle Lernen (ML) nennen, einem der „Boombereiche“ der KI Technologie, die ihr Potenzial insbesondere dann entfaltet, wenn es um die Auswertung von sehr großen Datenmengen geht. Dort entscheiden die Verfügbarkeit und der Zugang zu Daten letztendlich über die wirtschaftliche Nutzung. US-basierte Unternehmen dominieren in diesem Bereich insbesondere im Konsumerbereich (B-2-C). Dies spiegelt sich auch bei der globalen Betrachtung der Firmen, deren Geschäftsmodelle auf KI gründen. Von den ca. 6000 Firmen weltweit, deren Geschäftsmodell darauf basieren, kommen aktuell 36% aus den USA, gefolgt von Firmen aus Europa (19%) und China (16%). Dies zeigt die Dynamik in den USA und Asien, sagt aber noch nichts über Wertschöpfung und Arbeitsplätze, insbesondere im B-2-B Bereich aus. Hier ist das Rennen noch offen.

Was muss also konkret getan werden, damit Deutschland im internationalen Kontext wettbewerbsfähig bleibt bzw. noch wettbewerbsfähiger wird? Was sind die Zutaten, die uns noch fehlen?

  1. Als erstes sollten wir ambitioniert sein und uns nicht kleiner machen als wir sind!
    Europa ist der größte Marktteilnehmer weltweit, gemessen an Wertschöpfung und Kaufkraft. Europa muss sich deshalb zum Ziel setzen, auch bei KI einen Wertschöpfungsanteil zu erreichen, das seiner wirtschaftlichen Stärke entspricht. Dazu bedarf es eines Schulterschlusses in Europa, eines Mehr an Forschung im engen Zusammenwirken von Wirtschaft und Wissenschaft, aber vor allem einer neuen Gründerdynamik im KI Bereich. So müssen wir den Fokus der Entwicklung neuer KI-Technologien noch mehr und von Anfang an auf hochqualitative Anwendung legen.
  2. Nicht ausruhen, sondern weiterhin in unsere F+E Basis für Innovationen investieren!
    Neben den zu Beginn genannten Exzellenzzentren für Transfer und Anwendung wie DFKI und den genannten Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer, hat das BMBF in den letzten beiden Jahren zwei Big Data Kompetenzzentren (Dresden und Berlin), aufgebaut und sind gerade dabei, - sozusagen als weitere Zutat unseres Rezeptes - , fünf nationale Exzellenzzentren für Maschinelles Lernen aufzubauen. Diese drei Elemente stellen sozusagen die tragenden Säulen unserer Aktionsplans KI dar.
  3. Stärker werden, wo wir bereits heute gut sind und hohe Marktanteile haben!
    In den Branchen, in denen wir führend sind, müssen wir mit Hilfe von KI-basierten Softwarelösungen noch innovativere – manchmal auch noch schneller - eine noch höhere Durchdringungstiefe von KI in den Wirtschaftsbranchen erreichen. Die industrielle Produktion, Maschinen- und Anlagenbau, die Autoindustrie, die Medizin und Logistik, aber auch den Dienstleistungssektor wie Banken- und Versicherungswesen. Hier gibt es noch Wachstumspotenziale, insbesondere bei „B2B“ Lösungen, denen eine besondere Stellung in modernen Wertschöpfungsnetzwerken, die nicht selten über Grenzen hinweg gehen, zukommt. Hier wird nicht zuletzt entscheidend sein, ob es uns in Europa gelingt die „Technologiesouveränität“ in den Schlüsselbereichen unserer Wirtschaft zu erhalten.
  4. Neue Wege gehen, Gründungsdynamik erhöhen und Disruptionen bei Innovationen aktiv fördern!
    Im Bereich der Dienstleistungen und der Plattformökonomie wird mehr und mehr Wertschöpfung abseits der „klassischen Branchen“ erzielt. Hier geht es darum, schnell mit einer neuen Idee eine Nische zu besetzen, weil man das perfekte Geschäftsmodell zum richtigen Zeitpunkt hat. Für diese Gründungen brauchen wir ein besseres „Ökosystem“. Wir müssen Sprunginnovationen sowie Aus- und Neugründungen nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern. Beispielhaft sei hier das Programm Vorfahrt für den Mittelstand des BMBF genannt.
  5. In kluge Köpfe investieren und auch das aktuelle Personal mitnehmen!
    Neben Forschung und Innovation und mutigen Unternehmern sind kompetente und motivierte Mitarbeiter mindestens ebenso wichtig für unseren zukünftigen Erfolg im Bereich KI. Digitalisierung verändert fortlaufend unsere Arbeitswelt. Deshalb müssen wir uns in der beruflichen Qualifikation auf allen Ebenen darauf einstellen und die Arbeitskräfte auf den Wandel in der Arbeitswelt vorbereiten. Dies trifft auch die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien. Künftig brauchen wir sowohl Spezialisten, die Lernende Systeme entwickeln als auch Arbeitnehmer, die mit diesen Systemen im Arbeitsalltag umgehen können. An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind wir bereits gut aufgestellt. Aber KI ist nicht nur eine Sache für Akademiker, sondern ein zentrales Thema für die Aus- und Weiterbildung. Hier muss mehr getan werden, da hier die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg gelegt wird. Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit ist übrigens ein Thema, dem das BMBF im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2018 „Arbeitswelten der Zukunft“ besondere Aufmerksamkeit widmet. Dazu gehört auch, dass Sie als Arbeitgeber für internationale Spitzenkräfte im KI Bereich attraktiv sein müssen und wir mit unseren Forschungseinrichtungen die klügsten Köpfe weltweit nach Deutschland holen müssen.
  6. Gesellschaftlichen Dialog zum Einsatz von KI führen und Rahmenbedingungen entsprechend gestalten!
    Ein weiteres Element unseres Aktionsplans KI ist die im Jahr 2017 gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaftsvertretern geründet die Plattform Lernende Systeme. Die Plattform bringt alle Akteure an einen Tisch, um zentrale forschungs- und anwendungsbezogene Chancen und Herausforderungen zu diskutieren sowie die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Einführung und den Einsatz Lernender Systeme zu identifizieren, aber auch vorhandene KI-Lösungen über ihren ursprünglichen Einsatzbereich – besonders auch bei KMU - hinaus bekannt zu machen und Ideen für weitere KI-Anwendungsfelder zu liefern. Darüber hinaus sollen in der Plattform Handlungsempfehlungen für einen gesellschaftlich akzeptierten Umgang und die Anwendung von KI-Systemen, gegeben werden. Flankiert werden unsere Aktivitäten dabei auch an Bestrebungen der Europäischen Kommission, die in wenigen Wochen ebenfalls ihre „EU KI-Strategie“ präsentieren wird und entsprechende „Spiegelgremien“ etablieren werden. Letzteres bringt mich zu meinem letzten Punkt - zu meiner letzten Zutat für unser Rezept
  7. Mit starken Partnern in Europa und international kooperieren
    Vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbes ist es sinnvoll, in Europa gemeinsam zu agieren, um Expertise zu bündeln und um kritische Maße zu erzeugen. Da wir mit unseren Nachbarländern gemeinsam über den Binnenmarkt sowie vielfältige Wissenschafts- und Wirtschaftsverbindungen verbunden sind, liegt es auf der Hand, gemeinsam zu handeln, dort wo es sinnvoll ist die europäischen Stärken zu bündeln. Beispielsweise möchte ich hier die DE-FR- Initiative zur Gründungen eines gemeinsamen KI Institutes nennen, welche übrigens auch im Koalitionsvertrag genannt ist. Wir stehen zwar erst am Anfang der Diskussion mit unseren französischen Partnern, aber ich kann ihnen schon jetzt sagen, dass es sich aus unserer Sicht nicht um ein klassisches bi-laterales Forschungsinstitut handeln soll, sondern um einen KI-HUB mit ganz klarem Transfer und Anwendungsbezug in Industrie und Wirtschaft. Wir wollen dies nutzen, um gemeinsam mit Firmen Dinge auszuprobieren und eng an den Bedarfen des Marktes zu entwickeln. Wir wollen, dass die Mitarbeiter dort neue Geschäftsmodelle entwickeln, ausgründen oder in Schlüsselpositionen der Wirtschaft gehen. Darüber hinaus werden wir – sozusagen als Baustein der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung – mit den besten und dynamischsten Ländern punktuell kooperieren, uns austauschen und bei Bedarf bi-laterale F+E Programme auflegen.

Meine Damen und Herren,

die Ausgangslage in Deutschland ist gut, um in Zukunft die KI-Technologie breit zu nutzen und Wertschöpfung und damit Wohlstand für unsere Gesellschaft zu generieren.

Daher muss sich nun Politik und die Wirtschaft ambitionierte Ziele setzen, aber – noch wichtiger – diese auch konsequent verfolgen und umsetzen.
Das hat das BMBF in dieser Legislaturperiode mit seinem Aktionsplan KI vor.

Zurück