Wie Gesundheitsfachkräfte von KI profitieren können

Ein Expertenbeitrag von Klemens Budde, leitender Oberarzt der Charité Berlin und Co-Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege der Plattform Lernende Systeme

Die Gesundheitsfachkräfte in Deutschland sind chronisch überlastet. Der Fachkräftemangel und die unzureichende Bezahlung vieler Beschäftigten im Gesundheitswesen führen dazu, dass in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen Fachpersonal fehlt. Künstliche Intelligenz (KI) könnte dazu beitragen, dem Mangel an qualifiziertes Personal entgegenzuwirken und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu erhöhen. Notwendig hierfür sind jedoch technische und organisatorische Veränderungen im stationären und ambulanten Arbeitsalltag, damit Patientinnen und Patienten sowie Fachpersonal von den KI-Systemen profitieren können.

Klemens Budde ist leitender Oberarzt der Charité Berlin und Co-Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege der Plattform Lernende Systeme

KI-Systeme zur schnelleren Interpretation von Röntgenbilden, Vorhersagemodelle zu Transplantatverlusten oder Robotik-Anwendungen für die Bewegungsfähigkeit Schwerverletzter – KI kann Beschäftigte im Gesundheitswesen entlasten und die Patientenversorgung verbessern. Diagnosen werden mithilfe von KI präziser, Behandlungsmethoden individuell angepasst und administrative Prozesse effizienter. Gesundheitsfachkräfte könnten in ihrem Alltag insbesondere von standardisierten und zeitintensiven Routinetätigkeiten entlastet werden. Auf diese Weise können sie ihre Tätigkeiten selbstbestimmter gestalten und sich mit den freien Kapazitäten stärker der Betreuung der Menschen widmen.

Befragung: Wünsche und Anforderungen der Gesundheitsfachkräfte (Kopie)

Um diese Potenziale bestmöglich nutzen zu können, gilt es, die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter voranzutreiben – vor allem bei der sicheren Erfassung und Verarbeitung von Patientendaten. Diese ist die Voraussetzung für einen breiten KI-Einsatz in der medizinischen Versorgung. Zentral ist zudem, dass wir neben den Perspektiven von Patientinnen und Patienten sowie von Pflegebedürftigen auch den Gesundheitsfachkräften bei der Entwicklung und Anwendung von KI Gehör schenken, um nicht an deren Arbeitsrealität vorbeizuplanen. Die Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege sowie die Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme haben in einem mehrstufigen qualitativen Verfahren Gesundheitsfachkräfte zu den Chancen, Herausforderungen und notwendigen Voraussetzungen eines KI-Einsatzes im Gesundheitswesen befragt. Auf dieser Grundlage adressiert das Whitepaper „KI für Gesundheitsfachkräfte. Chancen und Herausforderungen von medizinischen und pflegerischen Anwendungen“ Empfehlungen für eine erfolgreiche KI-Einführung im Gesundheitswesen.

Fachkräfte haben einen realistischen Blick auf den KI-Einsatz im Gesundheitswesen. Sie sehen gleichermaßen Chancen und Herausforderungen, betonen dabei aber besonders die Voraussetzungen, die für eine gelungene KI-Anwendung geschaffen werden müssen.

Unsere Befragung hat gezeigt, dass medizinische und pflegerische Fachkräfte grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber KI-Systeme sind, die ihren Arbeitsalltag erleichtern. Aber sie fordern, dass Arbeitgeber, Politik und Wissenschaft die nötigen Voraussetzungen schaffen, damit sie von der Technologie wirklich profitieren können. Die befragten Fachkräfte haben wertvolle Hinweise gegeben, welche technischen und organisatorischen Veränderungen im stationären und ambulanten Arbeitsalltag notwendig sind, damit der Einsatz von KI gelingen kann.

Entlastung und bessere Patientenversorgung

Die Befragten verbinden mit der Technologie die Hoffnung, dass sie dank KI-Unterstützung mehr Zeit für den persönlichen Kontakt mit den Patientinnen und Patienten haben, etwa indem Verwaltungsprozesse und Dokumentationsaufgaben automatisiert werden. Zur Verbesserung der Patientenversorgung tragen nach Ansicht der befragten Fachkräfte insbesondere KI-Anwendungen für die Radiologie bei sowie die Unterstützung bei Diagnose- und Therapieentscheidungen. Durch KI-Anwendungen lassen sich Fehlerquoten beispielsweise in der Diagnostik minimieren, indem sie als zusätzliche datenbasierte Unterstützung ärztliche Entscheidungen ergänzen und zusätzlich absichern. Auch lassen sich Therapieentscheidungen durch große Datensätze präziser fällen und innovative Behandlungsmöglichkeiten durch den interdisziplinären Zugriff auf Datensätze eröffnen.

Worauf es bei der Einführung von KI ankommt

Von größter Bedeutung ist für die Gesundheitsfachkräfte, dass die Einführung von KI-Anwendungen mit der Weiterentwicklung von Arbeitsabläufen und -strukturen verbunden sein muss.

Als große Herausforderung beim Einsatz von KI in ihrem Arbeitsalltag nennen die von der Plattform Lernende Systeme befragten Gesundheitsfachkräfte etwa die mangelnden KI-Kompetenzen der Beschäftigten. Sie fordern leicht bedienbare Systeme und entsprechende Qualifikationsmöglichkeiten für das Personal. Für eine ganzheitliche Entwicklung von KI-Kompetenzen sind Fort- und Weiterbildungsangebote sowie entsprechende Schwerpunkte in der beruflichen Ausbildung notwendig. Die Kompetenzentwicklung ist dabei nicht nur individuell für die Beschäftigten relevant, sondern mitentscheidend für die Nutzbarkeit von KI-Technologien in Medizin und Pflege. Welche Kompetenzen Gesundheitsfachkräfte im Einzelnen brauchen, hängt stark von ihren Aufgaben und vom eingesetzten KI-System ab. Für alle Gesundheitsfachkräfte werden dabei jedoch zwei Kompetenzen besonders wichtig sein. Zum einen müssen sie über das eingesetzte KI-System, seine Besonderheiten und Leistungsfähigkeit Bescheid wissen (KI-Awareness), zum anderen brauchen sie Datenkompetenzen, da KI-Systeme im Gesundheitssektor prinzipiell mit sensiblen, personenbezogenen Daten arbeiten.

Als weitere Herausforderung sehen die befragten Gesundheitsfachkräfte die fehlende digitale Infrastruktur im stationären und ambulanten Bereich sowie den schwierigen Zugang zu hochwertigen Daten. Daten müssen qualitativ hochwertig, vollständig interoperabel und standardisiert vorliegen, sodass sie quantifizierbar und sodann kompatibel sind. Nur dann können KI-Systeme erfolgreich mit ihnen arbeiten. Kritisch bewerten die Befragten eine mögliche Verdichtung ihrer Arbeit: Durch die Datenpflege dürfe keine Mehrbelastung für die Beschäftigten entstehen und zeitliche sowie personelle Ressourcen, die durch den KI-Einsatz frei werden, müssten im Sinne von Patientinnen, Patienten und Fachkräften genutzt werden.

Wandel im Gesundheitswesen

Pflegefachkräfte müssen künftig die grundlegenden Funktionsweisen des KI-Systems verstehen und in der Zusammenarbeit mit diesem geübt sein. Ihre körperliche Leistungsfähigkeit wird dank der Unterstützung durch KI-basierte Roboter wenig wichtig.

Der Einsatz von KI verändert Tätigkeitsfelder und Arbeitsbedingungen von Gesundheitsfachkräfte. Wo Aufgaben automatisiert werden, steht immer auch die Sorge im Raum, ob Beschäftigte durch Technik ersetzt werden könnten. In der Praxis geht es beim KI-Einsatz im Gesundheitswesen aber vor allem darum, das vorhandene Fachpersonal bestmöglich zu unterstützen, um auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wichtig dafür: Die KI-Systeme müssen in etablierte Arbeitsabläufe integriert werden – unter Einbezug der anwendenden Fachkräfte, ihrer praktischen Erfahrung und ihres umfangreichen Wissens. Eine bedachte Einführung des KI-Systems nach Bedarfen und Kapazitäten der Gesundheitsversorgung ist wichtig, damit es nachhaltig erfolgreich im medizinischen und pflegerischen Alltag Anwendung findet.

Beitrag erschienen in:

KTM – Krankenhaus, Technik, Management
August 2023

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