Technik gestalten – Wie wir lernende Systeme intelligent nutzen können

Rede von Karl-Heinz Streibich auf der acatech Festveranstaltung

Thorsten Jochim
Karl-Heinz Streibich, acatech Präsident und Co-Vorsitzender der Plattform Lernende Systeme

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Sehr geehrte acatech Mitglieder, Senatorinnen und Senatoren,
Sehr geehrte Damen und Herren,

acatech ist heute eine Plattform für alle Menschen, die sich für die Zukunftssicherung unseres Landes einsetzen, welch großartiges und ehrenwertes Ziel, das uns hier alle vereint.

Dabei ist der Einsatz von technischen Innovationen bei weitem kein Selbstläufer. Ja, häufig sehen wir sogar, dass bereits die Erwähnung einer Technik Misstrauen und Ablehnung in der Bevölkerung auslöst, lange bevor die Anwendungsfelder und der Nutzen daraus klar sind und verstanden werden.

Dass dies wettbewerbshemmend für einen Industriestandort wie Deutschland sein kann, liegt auf der Hand. Deshalb verstehen wir uns bei acatech auch als Aufklärer, objektiv, unabhängig, wissenschaftlich fundiert kombiniert mit ökonomischem Pragmatismus. Das macht die beiden Säulen der acatech aus, Wissenschaft und Wirtschaft.

Wir wollen, dass neue Technologien in unserem Land in ihrer Wirkung, ihrem Mehrwert und Nutzen verstanden werden, damit sie zum Wohle der Menschen selbstbestimmt, also souverän in der Gesellschaft eingesetzt werden. Eine neue Technologie darf nicht bereits abgelehnt werden, bevor die relevanten Anwendungen das Licht der Welt erblicken. Denn erst die Anwendung und der Nutzen daraus bringt den Fortschritt

Deshalb befassen wir uns als Sprachrohr der Technikwissenschaften in Deutschland früh mit Fragenstellungen wie:

  • Welchen Nutzen bringt die Innovation für den Menschen und sein Umfeld?
  • In welchem Verhältnis stehen Chancen und Risiken für Mensch und Umwelt dabei?
  • Wie können wir dabei Souveränität und Selbstbestimmung der Menschen sicherstellen?
  • Wie können wir die Menschen auch emotional gewinnen?

Wir werden die Akademie noch viel mehr als Dialogplattform weiterentwickeln, zu einem Ort machen, an dem die Vertrauensbildung in der Gesellschaft im Fokus steht. Dies gilt für die von Herrn Dr. Oschmann angesprochenen biotechnologischen Anwendungsfelder genauso wie für den Energiewandel und im besonderen Maße für die Anwendungen von Künstlicher Intelligenz. Denn die KI ermöglicht selbst lernende Systemen, und ist somit die Basis für künftige Sprunginnovationen, praktisch in jeder Branche, ja in jeder Firma.

Das Verhältnis von Mensch und Maschine ändert sich damit grundlegend, die Maschine wird zum aktiven Helfer und Begleiter und gibt dem Menschen die Freiheit Dinge zu tun, die seiner Intuition, seiner Selbstbestimmtheit und seinem Wertesystem besser entsprechen. Die bei acatech angesiedelte Plattform Lernende Systeme wird sich dieser Aufgabe annehmen, geleitet vom BMBF und acatech und mit 190 führenden KI-Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Meine Damen und Herren, Fast 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger empfinden heute den technischen Fortschritt als Naturereignis, das über sie kommt, unaufhaltsam und unberechenbar. Das hat das TechnikRadar von acatech und Körber Stiftung ergeben. Wie gehen wir mit diesem Befund um? Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir die Anwendung der neuen Techniken pro-aktiv gestalten können, dass sie eben kein Schicksal, sondern Chance sind, jedoch unter objektiver Abwägung der Chancen-Risiken-Balance. Wir sind in der westlichen Welt fundamental technisch industriell geprägt, erst dadurch haben wir Fortschritte gemacht, die unseren heutigen Lebensstandard begründen. Dies kann nur weiterhin gelingen, wenn wir die zunehmenden Bedenken ernst nehmen und in einem offenen Dialog diskutieren, wie z.B. KI-Anwendungen unsere Bildung, unsere Arbeit unsere Gesundheit und unsere Sicherheit im Alltag positiv beeinflussen.

Beim Digitalgipfel der Bundesregierung im Dezember in Nürnberg wollen wir eine alltagsnahe KI-Anwendung für den Straßenverkehr zur Diskussion zeigen, der Titel: Vision Unfallfrei. Sie beruht auf bestehenden Assistenzsystemen, wie es sie heute bereits gibt. Kameras, Radarsysteme, Bremsassistenten und andere. Diese Systeme sollen künftig um Elemente künstlicher Intelligenz ergänzt werden. Die Kameras erkennen dann nicht nur einen Fußgänger, sondern auch, dass der Fußgänger auf sein Handy schaut und vom Verkehrsgeschehen abgelenkt ist. Dies sind Fähigkeiten, die künftig für das unfallfreie Fahren, auch autonomes Fahren genannt, erforderlich sind.

Zwei Drittel der Bevölkerung geben jedoch an, dass es sie stört, wenn im Zuge des vollautomatisierten Fahrens Daten gesammelt werden, so das TechnikRadar. Dies ist natürlich ein Dilemma, das aufgelöst werden muss, denn jeder will sicher fahren, emissionsreduziert und staufrei, aber ohne den Beitrag der eigenen sogenannten Metadaten geht das nicht. Wie lösen wir diesen Konflikt auf? Wir werden verständliche und Vertrauen schaffende Antworten finden. Einer der entscheidenden Punkte an diesem Beispiel sicheren Fahrens ist aus meiner Sicht dessen ethische Bedeutung. Ohne deren berechenbare Berücksichtigung gibt es garantiert keine Vertrauensbildung in der Gesellschaft für autonomes Fahren.

Denn die beschriebene Technologie wird in PKWs und LKWs verbaut, muss also von deren Haltern und Betreibern akzeptiert, aktiviert und gewünscht sein. Sie schützt andere Verkehrsteilnehmer, nämlich die Fußgänger und Radfahrer, viel stärker als den Fahrer selbst. Deshalb ist z.B. eine ethisch relevante Frage: Rechtfertigt eine eventuelle Datenskepsis, dass ich schwächeren Verkehrsteilnehmern diesen Schutz vorenthalte? Oder ist die Weitergabe meiner Daten einfach der Weg, den alle gehen müssen?

Meine Damen und Herren, Rationalität und Emotionen zu berücksichtigen ist ein Auftrag an uns alle, Technik nicht nur zu erklären, sondern deren Anwendungsszenarien zu diskutieren und dabei offen mit den relevanten Zielgruppen die Abwägung zwischen Chancen und Risiken zu diskutieren.

Nicht immer geht es um Leben und Tod. Aber wenn wir aus Vorurteilen und Angst vor der grünen Gentechnik uns bei der medizinischen, der roten Gentechnik ausbremsen, anstatt sie zu gestalten, dann schaden wir uns und den nachfolgenden Generationen vehement. Wenn wir Themen verbieten, bevor wir die Chancen und Risiken abschätzen können wie beim Fracking geschehen, dann erhöhen wir in diesem Fall unsere Abhängigkeit und berauben uns der Chance, tiefe Geothermie als stabile, erneuerbare Energiequelle zu erschließen. Oder wenn wir Künstliche Intelligenz ablehnen, bevor wir deren Anwendungen verstehen, dann verlieren wir auch unsere Gestaltungsmöglichkeiten für den technischen Fortschritt insgesamt, mit fatalen Folgen auch für kommende Generationen hier in Deutschland. Denn weder unser Wohlstand noch dessen Erhaltung für unsere Kinder ist ein Naturgesetz, sondern muss permanent neu erarbeitet werden.

Mein Fazit: Es wird uns nur gelingen, den weiteren technischen Fortschritt sinnvoll zu nutzen, wenn wir die Gesellschaft objektiv, ethisch verantwortungsvoll, also vertrauensbildend, aufklären und mitnehmen.

Die Digitalisierung beschleunigt den Fortschritt enorm. Sie löst Geschäftsmodellinnovationen aus, die sich schneller und disruptiver entwickeln als alles, was wir bisher gesehen haben. Denn, neue digitale Geschäftsmodelle basieren auf Software-Plattformen. Diese neuen Plattformen treiben einen Keil zwischen etablierte Firmen und deren Kunden. Ihr Leistungsversprechen sind Smart Services: dazu verknüpfen sie eigene Dienstleistungen mit fremden Produkten zu digitalen Diensten, 7x24 h verfügbar, 365 Tage, also immer offen für den Kunden. Das gefährliche dabei ist, dass plattformbasierende Geschäftsmodelle exponentiell wachsen, das heißt, jahrelang bemerkt man sie nicht, und wenn man sie bemerkt hat, ist es oft schon zu spät, dann sind sie im exponentiellen Wachstum, the winner takes it all. Der Treibstoff, mit dem sich Plattformanbieter in immer neue Branchen bewegen, sind die Daten – über Kunden, über Maschinen, über ihre Nutzung von Produkten und Diensten, über die Produkte und ihre Umgebung und vieles mehr. Die Plattformökonomie generiert die Daten, die KI zum Lernen braucht. Deshalb verstärken sich die Plattformökonomie und Künstliche Intelligenz gegenseitig. Deshalb müssen wir bei Künstlicher Intelligenz in Deutschland führend sein.

Wir müssen dazu aus unserem industriellen Kern heraus Ökosysteme mit digitalen Plattformen schaffen, die global wettbewerbsfähig sind. Dies ist eine Aufgabe, die kein Hersteller und kein Diensteanbieter alleine bewältigen kann. Hierfür braucht es Partnerschaften, regionale Cluster, Netzwerke, die vor allem eines eint: gegenseitiges Vertrauen. Vertrauensräume sind der Schlüssel für gemeinsamen Erfolg in der digitalen Welt. Der deutsche Maschinenbau hat sich mit ADAMOS einen geschaffen, andere werden folgen. acatech wirkt Vertrauen stiftend, weil hier Expertinnen und Experten unterschiedlichster Richtungen zusammenarbeiten, unabhängig, kompetent und dem Fortschritt auf Basis unserer ethischen Grundprinzipien verpflichtet.

Wir werden Weckrufe formulieren um gehört zu werden und aufzuklären.

Sie alle, meine Damen und Herren, haben mit Ihrem Engagement für und bei acatech in der Vergangenheit dazu beigetragen, dafür an dieser Stelle nochmals meinen herzlichsten Dank an Sie alle. Bringen Sie sich auch in Zukunft bei uns ein: Indem Sie uns fördern und fordern.

Vielen Dank und einen schönen Abend!

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