Potenziale lernfähiger Robotiksysteme

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Elsa Kirchner, Leiterin des Fachgebiets "Systeme der Medizintechnik" an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Als physische und technische Systeme stellen lernfähige Robotiksysteme verkörperte KI dar. Schon heute werden Robotiksysteme zunehmend in verschiedenen Umgebungen und Situationen eingesetzt, in denen dies noch vor einigen Jahren undenkbar erschien – etwa zur Arbeitserleichterung in der Logistik, für die maßgeschneiderte Produktion in Handwerksbetrieben oder zur Unterstützung in der Rehabilitation und Pflege. Elsa Kirchner, Leiterin des Fachgebiets „Systeme der Medizintechnik“ an der Universität DuisburgEssen und Mitglied der Plattform Lernende Systeme, diskutiert im Beitrag, wie lernfähige Robotiksysteme Menschen mit körperlichen Einschränkungen schon heute das Leben erleichtern können und wo aktuell noch Herausforderungen für den breiten Einsatz solcher Systeme bestehen.

Prof. Dr. Elsa Kirchner leitet das Fachgebiet "Systeme der Medizintechnik" an der Universität Duisburg-Essen

Ob aufgrund schwerer Unfälle oder als Folge von Erkrankungen – durch neurologische Schäden können das Zusammenspiel von Geist und Körper beeinträchtigt und Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Im Rahmen der Rehabilitations-Robotik erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie lernfähige Robotiksysteme mithilfe von Künstlicher Intelligenz, etwa robotische Teil- und Ganzkörper-Exoskelette, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung wieder mehr Teilhabe und Selbstständigkeit ermöglichen können. Auch Menschen in komplexen Umgebungsbedingungen, etwa beim betreuten Wohnen, können lernfähige Robotiksysteme individuell angepasste Unterstützung im Alltag bieten. Den Sprung von Laboranwendungen in die Praxis – und damit den erfolgreichen Transfer in die Anwendung – haben einige Exoskelett-Systeme bereits geschafft: Inzwischen gibt es für die körperliche Unterstützung und im Industrieumfeld mehrere Hersteller, die Modelle für unterschiedliche Anwendungsschwerpunkte anbieten. Das bedeutet, dass derzeit wichtige Erkenntnisse aus der Praxis in die Verbesserungen der Systeme fließen können. Das Ziel ist klar: Menschen mit körperlichen Einschränkungen verlorene Bewegungsmöglichkeiten zurückzugeben und das Leben zu erleichtern.

Oft sind die Systeme, die heute schon in der Praxis zum Einsatz kommen, eher einfache Lösungen, die zwar anpassbar sind, aber beispielsweise nicht selbst lernen, sich anzupassen. Intelligente Roboter werden in der Öffentlichkeit häufig mit lernenden Robotern gleichgesetzt, da fortgeschrittene Roboter ihr Verhalten möglichst eigenständig erlernen und anpassen sollen. Dieses Lernen wird durch subsymbolische – also datengetriebene – KI ermöglicht, die in den letzten Jahren unter anderem durch steigende Rechenleistung und Deep-Learning-Ansätze immer erfolgreicher wurde. Im Gegensatz zur subsymbolischen ist die symbolische KI durch ein Regelwerk gekennzeichnet, das beim Expertensystem von einer oder einem menschlichen Expertin oder Experten erstellt wurde. Innovative Ansätze versuchen, subsymbolische und symbolische KI miteinander zu kombinieren, das ist auch wichtig für weitere Fortschritte bei lernfähigen Robotiksystemen: So sind Ansätze der symbolischen KI oft Grundvoraussetzung für intelligentes Verhalten von Robotiksystemen, je nach Komplexität der Anforderungen müssen aber weiter übergreifende Lösungen erforscht werden.

Am Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen haben wir im Rahmen des Projekts Recupera REHA in den vergangenen Jahren ein mobiles Ganzkörper-Exoskelett für Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen entwickelt. Dieses bietet erweiterte und innovative Therapiemöglichkeiten. Einzelne Antriebssysteme, sogenannte Aktuatoren, sind an einem Metallskelett befestigt. Alternativ können solche einzelnen Module auch zu Greifarmen zusammengebaut und etwa an einem Rollstuhl befestigt werden, um die Bewegung der Arme zu unterstützen. Solche Systeme helfen Patientinnen und Patienten je nach Handicap beim Greifen oder Gehen. Einige Systeme oder Therapiemodi können auch selbstständig angewendet werden, auch ohne die Unterstützung von Ärztinnen oder Physiotherapeuten.

Von der Laboranwendung in die Praxis – komplexes Zusammenspiel aus Elektrotechnik, Neurowissenschaft und KI

Die technischen Herausforderungen für diese Form der robotergestützten Rehabilitation sind komplex: Um den Bewegungsraum des menschlichen Körpers weitgehend erfassen zu können, müssen neue Methoden in der Regelungstechnik, Konstruktion und Materialherstellung er- forscht und entwickelt werden. Am Fachgebiet Systeme der Medizintechnik an der Universität Duisburg-Essen forschen wir vor allem an der Weiterentwicklung der Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine und an Ansätzen, wie solche Systeme sich eigenständig kontinuierlich verbessern, indem sie aus der Interaktion mit dem Menschen lernen. Hierfür werden auch KI-basierte Online-Auswertungen von Elektroenzephalografie- und Elektromyografie (EEG- und EMG)-Signalen – also der Signalübertragung von Gehirn zur Muskulatur – eingesetzt. Auf diese Weise kann das Assistenzsystem jederzeit den körperlichen und mentalen Zustand der Patienten abschätzen. EMG-Signale ermöglichen die Abschätzung der Restaktivität, also wie viel Muskelkraft dem Patienten noch zur Verfügung steht. Auf Basis dieser Echtzeitanalyse kann die Unterstützungskraft an den Bedarf angepasst werden. Das Exoskelett kompensiert dabei sein Eigengewicht selbst, sodass Betroffene es nicht aktiv tragen müssen. Aber auch das Eigengewicht des Arms von Patientinnen und Patienten kann kompensiert werden und sie wieder in die Lage versetzen, selbst mit nur geringfügiger Muskelkraft den Arm wieder eigenständig zu bewegen. Verfügen Betroffene über keine Restmuskelaktivität mehr, können statt der EMG-Daten auch die EEG-Daten genutzt werden, um Bewegungswillen zu detektieren und auszuführen. Das sogenannte Embedded Brain Reading ermöglicht so, also durch Biosignal-Integration, eine optimale Anpassung an individuelle Bedürfnisse. Bei der Entwicklung und Weiterentwicklung solcher Lernender Systeme arbeiten wir eng mit ärztlichem, therapeutischem und pflegerischem Personal, aber auch Betroffenen – seien es die Patientinnen und Patienten selbst oder Angehörige – zusammen. Schon die Entwicklung des Recupera REHA Exoskelettes erfolgte in Zusammenarbeit mit der Aatalklinik in Bad Wünnenberg. Insbesondere bei der Entwicklung von Anwendungskonzepten, die sich an klassische Therapiemethoden wie Bewegungstraining oder Ergotherapie anlehnen, ist eine solche enge Zusammenarbeit unerlässlich.

Die Entwicklung sicherer Robotersysteme stellt die Wissenschaft vor große Herausforderungen, so auch beim Exoskelett. Es müssen nicht nur einzelne Motoren hinsichtlich Kraft und Regelungsgenauigkeit sorgfältig ausgewählt werden, sondern es muss auch ein gutes Gesamtkonzept entwickelt werden, aus dem im Zusammenspiel mit den menschlichen Gliedmaßen jegliche Gefahr für den Träger ausgeschlossen werden kann. Da das Exoskelett jedoch auch lernt, Daten, etwa die Muskelaktivität, hinsichtlich der Restkraft der Patientin oder des Patienten zu interpretieren, oder gar online lernt die Gehirndaten immer besser zu interpretieren oder Vorlieben der Patientin oder des Patienten zu erkennen, muss ein solches lernendes System so konzipiert sein, dass ein falsch gelerntes Modell für die Tägerin oder den Träger keine Gefahr bedeutet. Wie so etwas realisiert werden kann, ist ein wichtiges Ziel der Forschung zum „Embedded Brain Reading“. In Zusammenarbeit mit dem Weizenbaum-Institut konnten wir auch schon grundlegende Ansätze entwickeln, die auch für andere lernende Roboter genutzt werden können. Um die für die Rehabilitation erforderliche Selbstständigkeit der Betroffenen zu erreichen, müssen alle Berechnungen innerhalb der Exoskelett-Systemstruktur ablaufen. Auch dies stellt eine weitere Herausforderung dar und wird durch ressourcenarme Hardware und Software ermöglicht.

Technologische Herausforderungen und aktuelle Forschungsbedarfe

Während mechanisch anspruchsvolle und stabil gesteuerte Roboter-Exoskelette und -Orthesen bereits für verschiedene Anwendungen zur Verfügung stehen, konzentriert sich die aktuelle Forschung hauptsächlich auf Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion durch Berücksichtigung verschiedener Nutzerdaten. Diese aktuelle Forschung wird angetrieben durch den enormen Bedarf der Anpassung an die Nutzerbedürfnisse und, insbesondere in der neuromotorischen Rehabilitation, die Bereitstellung von bedarfsgerechter Unterstützung. Die Qualität der Mensch-Roboter-Interaktion wird insbesondere durch die Weiterentwicklung KI-basierter Methoden zur Anpassung und zum Online-Lernen der Steuerung von Roboter-Exoskeletten, kombiniert mit intrinsischer Erkennung der Zielsetzungen der Anwenderinnen und Anwender, verbessert werden. Dies kann sowohl die Effizienz als auch die Zufriedenheit mit exoskelettbasierten Rehabilitationsmaßnahmen insgesamt erhöhen. Für die Erkennung der Zielsetzungen muss jedoch auch der Kontext der Handlung erkannt werden.

Um künftig möglichst viele Betroffene mit solchen KIbasierten Robotiksystemen im Alltag unterstützen zu können und den Transfer in die Breite zu tragen, bestehen aktuell noch vielfältige Herausforderungen und weiterer Forschungsbedarf: so etwa hinsichtlich einer KIbasierten Kontexterkennung. Diese würde Fragen vorhersagen, beantworten oder evaluieren: Was macht der Träger gerade? Wo? Warum? Aber auch Lernen muss effizienter werden und mit weniger Trainingsbeispielen auskommen, da man diese von Patientinnen und Patienten nur schwer erheben kann. Zudem gilt es, noch weitere geeignete Anwendungen für Exoskelette zu identifizieren und diese praxistauglich zu gestalten als auch die Anwendbarkeit für verschiedene Erkrankungen, aber auch deren Ausprägung und anderweitigen Unterstützungsbedarfe besser zu verstehen.

Transfer in die Praxis beschleunigen

Tatsächlich ist der Schritt von der Erforschung von Möglichkeiten in die tatsächliche Anwendung oft holprig und mit Hürden verbunden. Dies gilt auch für die Entwicklung von Exoskeletten und deren Transfer in die Anwendung. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis kann schwer abgeschätzt werden, wenn man dieses nur finanziell betrachtet. Mitunter können Lernende Systeme potenziell besser unterstützen als klassische Ansätze. Auch hängt der Preis am Ende von der Nachfrage und Optimierung der Produktion ab. In der Theorie könnten zumindest passive, aber auch schon einige einfachere aktive Systeme bereits massenkompatibel sein. In den nächsten Jahren werden solche Produkte in Berufsbekleidungsläden, Sanitätshäusern oder sogar Sportgeschäften angeboten werden. Hier sprechen wir natürlich nicht von hochkomplexen Systemen, sondern eher von Systemen, die den Rücken unterstützen oder das Laufen erleichtern. Voraussetzung für die Marktakzeptanz ist, dass die Komponenten für Antriebe, Computer, Sensoren und Fertigung im Preis sinken.

In Zukunft werden aber auch komplexere oder gar Lernende Systeme in einigen Bereichen zum Einsatz kommen, wenn durch den demographischen Wandel Menschen wichtige Aufgaben nicht mehr übernehmen können oder wollen. Auch wenn es noch einige Herausforderungen zu lösen gibt, ist für bestimmte Anwendungsgebiete der potenzielle Nutzen von KI-unterstützten Exoskeletten aber bereits jetzt schon so hoch, dass sich Anwenderinnen und Anwender mit möglicherweise noch vorhandenen Nachteilen arrangieren können – etwa bei der Reha von Schlaganfallpatienten, denen ein Exoskelett ermöglicht, sich erstmals wieder durch den eigenen Willen, gestützt durch das Exoskelett, zu bewegen.

Beitrag erschienen in:

Fortschrittsbericht Plattform Lernende Systeme 2022
Dezember 2022

Zurück