KI-Wissen ausbauen, den Einstieg nicht verpassen

Ein Gastbeitrag von Dr. Johannes Winter, Leiter der Geschäftsstelle Plattform Lernende Systeme

Künstliche Intelligenz (KI) und lernende Systeme bieten enormes wirtschaftliches Potenzial und beschleunigen den digitalen Wandel. Sie verändern die Wertschöpfungsketten und Beschäftigungsstrukturen in der industriellen Produktion radikal. Die Frage lautet nicht, ob Unternehmen KI in ihre Fertigung und Produkte integrieren, sondern wann, wo und wie.

Johannes Winter, Leiter der Geschäftsstelle Plattform Lernende Systeme

Künstliche Intelligenz (KI) wird in den kommenden Jahren unsere Arbeits- und Lebenswelt prägen und in Unternehmen aller Branchen Einzug halten. Das gilt für die deutschen Leitindustrien ebenso wie für den Mittelstand und Startups, denen KI Chancen für neue Geschäftsideen eröffnet. Die industrielle Produktion ist dabei hierzulande einer der wichtigsten Anwendungsbereiche für lernende Systeme. Maschinen, Roboter und Softwaresysteme erledigen schon heute auf Basis von Daten selbstständig abstrakt beschriebene Aufgaben, ohne dass jeder Schritt vom Menschen programmiert werden muss. Dabei ermöglicht maschinelles Lernen den Systemen, ihr Verhalten durch Erfahrungen und in Interaktion mit ihrer Umwelt zu verbessern.

Daten liefern die Basis

Die erste Welle des digitalen Wandels setzte zu Beginn der 1970er Jahre ein. In der Industrie kamen Elektronik und IT zum Einsatz – die Automatisierung der Produktion schritt voran. Seit einigen Jahren erlebt die Industrie eine zweite Welle der Digitalisierung, die sich durch die drei Schlagworte smart, vernetzt und autonom beschreiben lässt. Intelligente Maschinen,  Produkte, Lagersysteme und Betriebsmittel mit eingebetteter Elektronik werden über das Internet miteinander verbunden und können die Produktion aktiv mitsteuern. Dabei sammeln die vernetzten  Objekte mithilfe von Sensoren große Datenmengen – quasi zum Nulltarif. Im Mittelpunkt steht nun die Individualisierung  von Produkten und Diensten. Dazu bedarf es lernender Systeme, die beispielsweise selbstständig Montagepläne für neue Produktdesigns erstellen können. Daten bilden dafür die Grundlage. Ein Durchbruch wurde in den letzten Jahren mit dem Deep Learning erreicht. Deep Learning basiert auf der Weiterentwicklung künstlicher neuronaler Netzte. Diese umfassen mehrere Schichten, die aus einer Vielzahl künstlicher Neuronen bestehen, die wiederum miteinander verbunden sind und auf Eingaben von Neuronen aus den vorherigen Schichten reagieren können. In der ersten Schicht wird beispielsweise ein Muster erkannt, in der zweiten Schicht ein Muster von Mustern und so weiter. Liefert das Netz ein falsches Ergebnis, passen die Entwickler die Verbindungsstärke zwischen den Neuronen an. Anders beim Deep Learning: Dabei werden die Abstraktionsschichten nicht von Menschen vorgegeben, sondern sie entstehen aus den Daten heraus. Das System generiert sein Vorhersagemodell selbst.

Lernende Roboter und smarte Services

In einer Fabrik entlasten intelligente Maschinen und Industrieroboter die Menschen von körperlich schwerer oder gefährlicher Tätigkeit und eintönigen Routineaufgaben. In Zukunft wird sich die Distanz zwischen Angestellten und Maschinen noch verringern. Lernfähige Industrieroboter können beispielsweise in der Montage Hand in Hand mit dem Menschen arbeiten. Denkbar wären auch flexibel einsetzbare Roboter, die von den Beschäftigten trainiert werden und ihre Aufgaben durch Nachahmung lernen. Auch fähigkeitsverstärkende Exoskelette machen sich Künstliche Intelligenz zu Nutze. Sie helfen Mitarbeitern etwa beim Heben schwerer Gegenstände. Lernende Assistenzsysteme, etwa in Form von Datenbrillen, unterstützen sie individualisiert bei einzelnen Arbeitsschritten. Lernende Systeme wandeln die Fabrik zu einem sich selbst steuernden, effizienten sowie ressourcenschonenden Produktionssystem und bilden darüber hinaus die Grundlage für die Logistiksysteme und Instandhaltung. Künstliche Intelligenz könnte traditionelle Wertschöpfungsketten drastisch verändern. Etwa wenn bestehende Produkte individueller und günstiger werden und sich auf dieser Basis neue Geschäftsmodelle erschließen lassen. Die von den intelligenten Maschinen und Produkten erhobenen Daten können mithilfe von KI-Technologien in Echtzeit analysiert und interpretiert werden. Wertvolle Erkenntnisse und Informationen fließen in neue Dienstleistungen ein, sogenannte Smart Services entstehen. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen hängt auch davon ab, wie sie die Chancen nutzen, die ihnen KI-Technologie bietet. Dabei stellen sich rechtliche, ethische und sicherheitsbezogene Fragen: Wie ermöglichen wir den notwendigen Datenaustausch für KI-Anwendungen, ohne dass persönliche Daten oder betriebliches Knowhow preisgegeben werden? Wie stellen wir die Sicherheit der Beschäftigten sicher, die eng mit Robotern zusammenarbeiten? Wer haftet bei Unfällen mit lernenden Systemen?

KI-Strategie der Bundesregierung

Wann wir Nutzen aus lernenden Systemen ziehen und in welchen Fällen wir von ihrem Einsatz absehen sollten, muss auf Basis unseres europäischen Werteverständnisses entschieden werden. Das erfordert einen breiten gesellschaftlichen Dialog über Chancen und Risiken. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat daher 2017 auf Anregung des Fachforums Autonome Systeme, des Hightech-Forums und acatech die Plattform ’Lernende Systeme’ gegründet, die rund 200 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft vereint. In sieben Arbeitsgruppen erörtern sie Leitplanken für die verantwortungsvolle Entwicklung und den Einsatz Lernender Systeme. Aus den Ergebnissen leiten sie Anwendungsszenarien und Handlungsempfehlungen ab. Die Plattform ist an der Entwicklung der KI-Strategie der Bundesregierung beteiligt und wird ihre Umsetzung begleiten. Ziel der Plattform ist es, Deutschland als führenden Technologieanbieter für Künstliche Intelligenz zu etablieren und lernende Systeme im Sinne eines guten und gerechten gesellschaftlichen Zusammenlebens zu gestalten. Denn die Entwicklung der technischen Möglichkeiten und das internationale Wettrennen um Künstliche Intelligenz lassen sich nicht aufhalten. Deutschlands Forschungslandschaft in diesem Bereich ist gut aufgestellt und im Bereich Industrie 4.0 ist Deutschland Vorreiter. KI muss nun in die Fertigung integriert werden, um individualisierte Produkte kostengünstig anzubieten. Auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf KI-Basis muss ein Ziel sein. Das bedeutet: erfolgreiche Produkte mit KI ausstatten, aus den Daten intelligente Dienste entwickeln und Leistungsversprechen geben, die den Nutzen der Systeme für den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Dann kann das Potenzial der Künstlichen Intelligenz für Menschen und Unternehmen ausgeschöpft werden.

Gastbeitrag erschienen in:

IT & Produktion
Zeitschrift für erfolgreiche Produktion
September 2018

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