KI fürs Klima – Wie Künstliche Intelligenz die Energiewende unterstützt

Ein Expertenbeitrag von Astrid Nieße, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Unsere Energiesysteme befinden sich im Wandel: Große Atom- und Kohlekraftwerke weichen einer Vielzahl erneuerbarer Energieproduzenten, wie Windkraft- oder Photovoltaikanlagen. Mit dem Ausbau erneuerbarer Quellen gehen Herausforderungen einher: Wieviel Strom die zahlreichen im ganzen Land verteilten Klein- und Kleinstanalagen einspeisen – noch dazu wetterabhängig, ist kaum vorhersehbar. Hinzu kommt der hohe Stromverbrauch der wachsenden Zahl von Elektroautos, der ebenfalls schwer planbar ist. Das kann die Stromnetze überlasten. Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) zu einer stabilen und klimafreundlichen Energieversorgung beitragen? Welche konkreten Möglichkeiten bietet die Technologie, das auf viele Orte verteilte Stromnetz zu steuern und Netzengpässe zu vermeiden? Und bieten die KI-Systeme neue Einfallstore für Cyberangriffe auf unsere Daten?

Prof. Dr. Astrid Nieße ist Professorin für Digitalisierte Energiesysteme an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

Im regenerativen Energiesystem ist es schwierig, Stromerzeugung und Stromverbrauch aufeinander abzustimmen. Diese Aufgabe kann nur durch eine vollständige Digitalisierung der Energiesysteme gemeistert werden. Insbesondere der Einsatz von KI bietet die Chance, vielen der sich stetig verändernden Anforderungen gerecht zu werden. Warum?

Neue Anforderungen im nachhaltigen Stromnetz

Lange Zeit dominierten in unserem Stromnetz wenige dafür sehr leistungsstarke Großkraftwerke. Sie waren an Hoch- und Höchstspannungsnetze angeschlossen und verteilten den Strom nach unten an die Verbraucher. Einspeisungen aus anderen Quellen gab es keine. Die Auslegung des Betriebs konnte daher zuverlässig berechnet werden. Heute gibt es viele kleine Stromerzeuger wie Windräder und Photovoltaik-Paneele auf Hausdächern. Sie befinden sich auf niedrigeren Spannungsebenen in den Verteilnetzen. Das heißt, die Verteilnetze werden nun in einer Weise genutzt werden, für die sie nicht ausgelegt wurden. Die Stromerzeugung dieser Kleinstanlagen ist abhängig vom Wetter und kann stark schwanken. Hinzu kommt eine zunehmende Zahl von Elektroautos. Wenn viele E-Fahrzeuge gleichzeitig ihre Batterien aufladen, hat das unerwartet hohe Stromverbräuche zur Folge. Gleichzeitig können die elektrisch betriebenen Autos auch als Stromspeicher fungieren und Energie ins Netz einspeisen. Auch dies ist nicht vorhersehbar. Teile der Netze drohen zu überlasten.

Um weiterhin einen sicheren Betrieb zu gewährleisten, müssen also die Zustände der Verteilnetze transparent gemacht und die zahlreichen flexiblen Klein- und Kleinstanlagen intelligent koordiniert werden. Dies ist nicht so leicht, denn auf den unteren Netzebenen gibt es wenig Messtechnik und Sensorik zur Überwachung der Betriebszustände. Der flächendeckende Ausbau von Sensorik in den Verteilnetzen gilt jedoch als unwirtschaftlich. KI-Systeme können hier Abhilfe schaffen. Die KI-Methode des Deep Learnings, die künstliche neuronale Netze nutzt, ermöglicht es, Netzzustände auch mit eingeschränktem Wissen zuverlässiger und genauer zu prognostizieren als bisher.

Mithilfe von KI-Verfahren des maschinellen Lernens können zum Beispiel Wetterdaten ausgewertet und somit Vorhersagen zur Einspeisung von wetterabhängigen Stromerzeugern getroffen werden. Diese Vorhersagen können wiederum genutzt werden, um die Erzeugung und den Verbrauch anderer Anlagen darauf abzustimmen, Netzengpässe zu vermeiden und somit so viel grünen Strom wie möglich zu nutzen.

Neben der Wetterabhängigkeit ist das Verhalten der privaten und industriellen Verbraucher der zweite Unsicherheitsfaktor im nachhaltigen Energiesystem. Wann laden die Menschen ihre Elektroautos? Wann benötigt ein Betrieb besonders viel Energie, etwa um an heißen Sommertagen die Büroräume zu kühlen oder einen Großauftrag zu produzieren? Und: Wann speisen die Verbraucher Strom aus Batteriespeichern ins Netz ein?

Künstliche Intelligenz für eine stabile Stromversorgung

Batteriespeicher werden zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. In der Industrie helfen sie, in Zeiten, in denen ein sehr hoher Stromverbrauch nötig ist – bei sogenannte Spitzenlasten –, die Stromversorgung sicher zu stellen und Kosten zu sparen. Privathaushalte unterstützen Stromspeicher, etwa in Form der Batterie eines Elektroautos, ihre mit der eigenen Photovoltaik-Anlage erzeugte Energie optimal zu nutzen und an Sonnentagen überschüssigen erzeugten Strom „zu lagern“. Um Energieverbrauch und -einspeisung besser vorherzusagen, können Batteriespeicher und Kleinanlagen mit KI-Software ausgestattet werden. Die sogenannten digitalen Agenten kennen den Zustand und die Eigenschaften ihrer Batteriespeicher und können auf Basis historischer Daten und mittels maschinellen Lernens Prognosen über die Erzeugung oder den Verbrauch der Anlagen vor Ort abgeben. Die Agenten interagieren mit anderen intelligenten Geräten und koordinieren selbstständig den flexiblen Verbrauch und Einspeisung der Kleinanlagen und Speicher. So müssen beispielsweise nach Feierabend nicht alle Elektroautos in einer Straße gleichzeitig mit voller Leistung aufgeladen werden. Meist reicht es, wenn die Fahrzeuge bis zum Morgen fahrbereit sind.

Der Agent bestimmt, wann und in welchem Umfang der Batteriespeicher für seinen ursprünglichen Einsatzzweck benötigt wird, etwa den Antrieb des Elektroautos. Er entscheidet dann selbstständig, welcher Spielraum verbleibt, um den Speicher darüber hinaus zu anderen Tageszeiten für weitere Einsatzzwecke zu nutzen. Das nennt man Sekundärvermarktung. Es kommt vor, dass ein Agent aufgrund einer Prognoseabweichung seine Verpflichtung aus dieser Sekundärvermarktung nicht einhalten kann, ohne seinen ursprünglichen Einsatzzweck zu gefährden. In diesem Fall können die Agenten selbst organisieren, welcher Speicher anstelle des ausfallenden den Strom zur Verfügung stellt. Ein Beispiel für solch ein System ist der von OFFIS in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen be.storaged entwickelte Batteriespeicherschwarm.

Das System KI-gestützter Kleinerzeuger und Speicher hat einen weiteren Vorteil: Die Agenten verarbeiten Daten lokal und übermitteln nur die nötigsten Informationen. Das unterstützt den Datenschutz. Die Daten, die beispielsweise die Wärmepumpe eines Eigenheimbesitzers an den Netzbetreiber weitergibt, sollen keine Rückschlüsse auf sensible Informationen ermöglichen. Angaben zu den Urlaubszeiten eines Hausbesitzers zeigen etwa, wann das Eigenheim unbewacht ist – eine wertvolle Information für Einbrecher. Darüber hinaus ist ein KI-basiertes Agentensystem sehr robust: Wenn einzelne Anlagen ausfallen, springen andere ein und Netzengpässe werden vermieden.

Vielfältiges Potenzial – und Herausforderungen

Die Fähigkeit selbst-organisierender Systeme auf unerwartete Änderungen, wie beispielsweise Prognoseabweichungen, flexibel zu reagieren und die Probleme möglichst lokal zu lösen, macht sie zu einem wertvollen Bestandteil unserer zukünftigen digitalisierten Energiesysteme. Sie können maßgeblich zu einem stabilen Netzbetrieb bei fortgeschrittener Energiewende beitragen. Auf dem Weg zum nachhaltigen Energiesystem bietet KI zudem vielfältige Möglichkeiten, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Im Smart Home machen KI-Systeme ineffiziente Haushaltsgeräte ausfindig oder stimmen Heiz- und Lüftungsanlagen besser aufeinander ab. Vor allem im Bereich der Instandhaltung und Wartung von Industrieanlagen versprechen KI-Systeme große Potenziale, da sie zeitnah Verschleiß, Systemfehler und daraus resultierende Ertragsverluste erkennen können. So können etwa mit Sensoren ausgestattete Windkraftanlagen Daten zum Zustand der Anlage analysieren.

Natürlich bringt der Einsatz von KI im Energiesystem neben den Vorteilen für eine nachhaltige Entwicklung auch neue Herausforderungen mit sich. Wie lässt sich der hohe Energieverbrauch der KI-Systeme selbst mit den Zielen der Energiewende in Einklang bringen? Wenn Entscheidungen von KI-Systemen getroffen werden, müssen diese für die Menschen nachvollziehbar sein – besonders wenn es um die Steuerung kritischer Infrastruktur geht. Wie lässt sich die durch künstliche neuronale Netze oder das kollektive Verhalten von selbst-organisierenden Systemen erklären, begründen und verifizieren? Wie können die KI-Systeme gegen Angriffe abgesichert werden? Diese Fragen sind Gegenstand der aktuellen Forschung.

Wie Künstliche Intelligenz die Energiewende sowie eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt, zeigt die Plattform Lernende Systeme ausführlich in ihrem Wegweiser Mit KI den nachhaltigen Wandel gestalten sowie mit den Praxisbeispielen auf ihrer KI-Landkarte.

Gastbeitrag erschienen in:

Focus Earth online
November 2023

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