3 Fragen an

Karsten Hiltawsky

Leiter Corporate Technology und Innovation bei Dräger und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Wie KI-Innovationen in der Gesundheit schneller zu den Patienten gelangen

KI-Systeme können beim Auffinden von Tumoren unterstützen, Insulinpumpen steuern oder bei Operationen assistieren. Doch auf dem Weg aus der Forschung in die Gesundheitsversorgung müssen KI-Innovationen in Deutschland viele Hürden nehmen. Vor welchen Herausforderungen die Hersteller medizinischer KI-Produkte stehen und was sich ändern muss, damit die Menschen schneller von den Innovationen profitieren, erläutert Karsten Hiltawsky. Er ist Leiter Corporate Technology und Innovation bei Dräger und Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege der Plattform Lernende Systeme.

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Wie kann Künstliche Intelligenz die Medizin verbessern?

Karsten Hiltawsky: Künstliche Intelligenz kann in kurzer Zeit riesige Mengen von Informationen aufnehmen und bewerten – und ist darin dem Menschen oft überlegen. In der medizinischen Diagnostik und Therapie ermöglicht die Technologie Assistenzsysteme, die Ärztinnen und Ärzte bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Sie können zum Beispiel Bilder von Computertomographen auswerten oder individuelle Patientendaten mit weltweiten medizinischen Leitlinien abgleichen. Der große Vorteil eines KI-Systems: es wird auch nach einer 20-Stunden-Schicht nicht ermüden und die Qualität seiner Ergebnisse bleibt stets gleich. Gerade bei sich wiederholenden Tätigkeiten entlasten KI-Systeme das medizinische Personal. Aber nicht nur bei der Verarbeitung von sehr großen Datenmengen, sondern auch wenn es darum geht, Daten in sehr kurzer Zeit zu analysieren, kommt das Potenzial der Künstlichen Intelligenz zum Tragen. Denken wir etwa an die Beatmung von Intensivpatienten. Hier kann ein KI-System frühzeitig vor Komplikationen warnen, weil es die Vielzahl an Werten des Patienten sehr viel schneller verarbeiten kann als der Mensch. Das rettet unter Umständen Leben.

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Vor welchen Hürden stehen Hersteller von Medizintechnik, wenn sie KI-Produkte auf den Markt bringen wollen?

Karsten Hiltawsky: Sehr zeitaufwändig ist sicherlich, Zugang zu einer großen Anzahl von bereinigten Patientendatensätzen zu erhalten, die für das Training einer KI-Anwendung notwendig sind, oder diese zu generieren. Doch auch die regulatorischen Rahmenbedingungen bereiten den Herstellern Kopfzerbrechen: Die benannten Stellen müssen Medizinprodukte zertifizieren, damit diese im europäischen Markt in Verkehr gebracht werden können. Die Besonderheiten von KI-basierten Anwendungen – etwa, dass sie sich im Einsatz verändern können – werden hier aber noch nicht berücksichtigt. Laut dem Entwurf für den AI-Act der Europäischen Union sollen alle KI-Medizinprodukte pauschal als Hochrisikotechnologie gelten. Das könnte bedeuten, dass bei jeder Verbesserung einer KI-Anwendung eine Rezertifizierung durch eine benannte Stelle erfolgen muss. Das würde die Kosten für Hersteller deutlich in die Höhe treiben.

Insbesondere für den Mittelstand ist die Vorfinanzierung der hohen Anfangskosten von KI-Innovationen eine große Hürde. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Aussicht auf Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen. Krankenhäuser werden ein Gerät mit KI-Funktionen, das bei der Auswertung von CT-Bildern oder bei der Behandlung von Intensivpatienten unterstützt, vor allem dann nutzen, wenn sie die Behandlung mit einer KI-Funktion über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen können.

Damit ein neues Verfahren dauerhaft in die Erstattung aufgenommen wird, muss der Hersteller einen Nutzennachweis erbringen, was wiederum oft erst möglich ist, wenn das Produkt schon einige Zeit im Einsatz war. Also ein Henne-Ei Problem mit der zusätzlichen Herausforderung, dass sich lernende Systeme im Laufe der Zeit verändern.

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Was muss sich ändern, damit KI-Innovationen aus Deutschland schneller zu den Menschen gelangen?

Karsten Hiltawsky: Die benannten Stellen, die Krankenkassen, die Krankenhäuser, aber auch der Gesetzgeber, müssen sich für die Chancen und die Besonderheiten von KI-basierten Medizinprodukten öffnen. Aktuell gleicht der Weg aus der Forschung zu den Patientinnen und Patienten noch einem Spießrutenlauf und bedeutet für die meisten Hersteller ein zu großes Risiko, um ihn zu begehen. Zum Beispiel wäre eine finanzielle Förderung von Herstellern in der Anfangsphase einer KI-Innovation hilfreich. Zusätzlich könnte eine temporäre Erstattung von KI-Anwendungen die Hersteller zu Investitionen in diese Technologien motivieren, bis die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen – und damit die langfristige Einnahmequelle – endgültig geklärt ist.

Rechtliche Rahmenbedingungen wie das Medizinproduktegesetz müssen an die spezifischen Eigenheiten von KI angepasst werden, die sie von gewöhnlicher Software unterscheidet. Wenn wir beim Einsatz von KI in der Medizin vorankommen wollen, müssen wir in der europäischen Innovationspolitik klare Schwerpunkte setzen, anstatt mit der Gießkanne über alle Anwendungsbereiche hinweg zu fördern. Dabei ist es sehr wichtig, die Patientinnen und Patienten einzubeziehen und ihre Vorlieben und Sorgen zu berücksichtigen. Vertrauen in KI-Innovationen wird nur entstehen, wenn alle Beteiligten den Nutzen für den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

 

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Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).

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