Wie verändert sich die Führung in Unternehmen im KI-Zeitalter?
Rahild Neuburger: Prinzipiell sind KI-Systeme technologische Hilfsmittel, die Führungskräfte und Beschäftigte unterstützen können. Dies ist mit direkten und indirekten Auswirkungen für die Führung von Unternehmen verbunden. Zunächst müssen KI-Systeme im Unternehmen mit den Beschäftigten interagieren und erfordern dadurch neuartige Formen der Organisation und der Zusammenarbeit, die von den Führungskräften zu realisieren sind. Gleichzeitig können KI-gestützte Assistenz- und Automatisierungssysteme Führungskräfte von operativen Aufgaben entlasten. In der Folge entstehen Freiräume, die Führungskräfte zum einen für eine menschzentrierte, kooperative Personalführung; zum anderen für Innovation und strategische Projekte nutzen können. Beides sind gerade in den gegenwärtigen Zeiten Aufgaben mit zunehmender Relevanz. So gestaltet es sich immer schwieriger, Mitarbeitende für das Unternehmen zu gewinnen und langfristig zu binden. Gleichzeitig erfordern die gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklungen und Turbulenzen kreative Lösungen, um die Innovations- und Wettbewerbskraft der Unternehmen zu stärken. Insofern bietet KI hier ein echtes Potenzial, sich auf die wichtigsten Führungsaufgaben zu konzentrieren – kreative Problemlösung, Mitarbeitermotivation und -coaching sowie eine offene und wertschätzende Kommunikation mit den Beschäftigten. Im KI-Zeitalter dürfen sich somit Führungskräfte auf ihre menschlichen Stärken wie Kommunikation, Intuition, Empathie, Kreativität oder auch die Beherrschung komplexer Situationen konzentrieren.
Wie können KI-Systeme Führungskräfte bei ihren Aufgaben unterstützen?
Rahild Neuburger: Die Stärken der KI-Systeme sind ihre Fähigkeit, große Mengen an Daten zu analysieren und auszuwerten sowie wiederkehrende standardisierbare kognitive Prozesse und Aufgaben zu automatisieren. Beides eröffnet erhebliche Potenziale für Führungskräfte. Insbesondere bei wiederkehrenden Führungsaufgaben können KI-Systeme unterstützen, wie dem Erstellen und Verwalten von Dienst- und Schichtplänen, der Aufgabenzuteilung, der Zusammenstellung und Konfiguration von Teams oder bei Budgetkontrollen. KI-gestützte Process-Mining-Lösungen können Geschäftsmodelle und -prozesse abbilden, analysieren und nachhaltig optimieren; im Bereich Human Resources helfen KI-Systeme bei Bewerbungsprozessen. Mithilfe von KI erstellte Analysen dienen Führungskräften als Grundlage für operative und strategische Entscheidungen. Konkrete Beispiele sind Prozessanalysen, Wirtschaftlichkeitsanalysen oder Analysen über das jetzige und zu erwartende Kundenverhalten. Dank derartiger Analysen sind Führungskräfte nicht nur schneller in der Lage, relevante Entscheidungen zu treffen. Sie können auch Ungereimtheiten oder Probleme zum Beispiel in der Produktion oder in Bezug auf das Kundenverhalten schnell erkennen und zeitnah auf diese reagieren. Schließlich können KI-Systeme Führungskräfte auch bei ihren Fürsorgepflichten unterstützen, wenn sie beispielsweise auf der Basis derartiger Analysen vor hohen Belastungen und Burn-Out-Risiken bei den Beschäftigten warnen.
Was müssen Unternehmen beachten, damit die Einführung von KI-Systemen in der Belegschaft gelingt?
Rahild Neuburger: KI-Systeme sind nicht nur eine neue Technologie. Aufgrund ihrer Fähigkeit, quasi selbstständig zu lernen und Schlussfolgerungen zu treffen, stellen sie ein neuartiges Element in der Organisations- und Arbeitswelt dar. Dies kann den Beschäftigten Sorgen bereiten, etwa ob der KI-Einsatz zur Fremdsteuerung führen kann, bis hin zu Ängsten vor den Verlust des eigenen Tätigkeitsbereichs. Diese Ängste frühzeitig zu erkennen und ihnen gegenzusteuern ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass die Einführung von KI-Systemen gelingt und ihre Potenziale ausgeschöpft werden. Dies erfordert zunächst Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten und ihren Sorgen; aber auch den konstruktiven Umgang mit entstehenden Ängsten. Möglicherweise lässt sich diesen Ängsten vorbeugen, wenn es gelingt, die Vorteile und Entlastungseffekte eines KI-Systems als Werkzeug in den Vordergrund zu stellen. Denn je deutlicher der Mehrwert für jeden Einzelnen wird und gleichzeitig die Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs reduziert wird, desto höher dürften Offenheit und Akzeptanz unter den Beschäftigten sein. Zu empfehlen ist deshalb eine offene Kommunikation mit den Beschäftigten. Darüber hinaus muss durch die entsprechende Gestaltung, Weiterentwicklung und Training der KI-Systeme das Risiko negativ wahrgenommener Schlussfolgerungen und Entscheidungen seitens der KI-Systeme reduziert werden.
Weitere Informationen zum Thema bietet das Whitepaper Führung im Wandel – Herausforderungen und Chancen durch KI der Plattform Lernende Systeme.
Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).