Wie sieht eine nachhaltige Arbeitswelt aus?
Nadine Müller: ver.di beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Ökologie, Nachhaltigkeit und Gute Arbeit. Aus unserer Sicht hat nachhaltige Arbeit mindestens zwei wesentliche Bedeutungen. Zum Ersten: Eine Arbeit ist dann nachhaltig, wenn ihre Bedingungen human – also mindestens gesund und persönlichkeitsförderlich – gestaltet sind. Der zweite Aspekt betrifft das Ziel, Wirtschaft und Arbeit so auszurichten, dass sie dem Gemeinwohl und Nachhaltigkeitszielen wie u.a. den Pariser Klimazielen entsprechen. Die EU muss dafür im Rahmen des Europäischen Green Deal ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken. ver.di setzt sich für einen sozial-ökologischen Umbau ein. Dabei sind die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen zu beteiligen.
Ein zentraler Schritt dabei ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Wenn Künstliche Intelligenz hierbei etwa durch eine „smarte“ Verkehrssteuerung unterstützen kann, begrüßt ver.di das. Am Ende darf jedoch der Einsatz einer stark ressourcenverbrauchenden KI den positiven Effekt für das Klima nicht aufheben. Gleichzeitig muss klar sein, dass allein der Einsatz von KI die Klimaprobleme nicht löst. Dass beispielsweise der Ausbau des ÖPNV politisch durchgesetzt und auch mit entsprechend mehr Personal hinterlegt sein muss, wobei die Arbeitsbedingungen human – also nachhaltig – zu gestalten sind. Wichtig bleibt also, nicht nur in KI, sondern auch in sozial abgesicherte Beschäftigung, notwendige Kompetenzen und gute Arbeitsbedingungen zu investieren – in eine wirklich nachhaltige Zukunft.
Wie muss die Zusammenarbeit von Mensch und KI-Technologien gestaltet sein, um diesem Ideal zu genügen?
Nadine Müller: Bei der Nutzung von KI durch die Erwerbstätigen ist vor allem sicherzustellen, dass sie bei der Gestaltung und Einführung der Technik beteiligt werden – dass also eine humane Arbeitsgestaltung von Beginn an mitgedacht wird. Die Gewerkschaften haben dafür den Begriff der „Guten Arbeit by Design“ geprägt. Dieses Prinzip folgt dem Ansatz „Privacy by Design“, der in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung verankert ist. Hier geht es darum, Technik so zu entwickeln, dass die Persönlichkeitsrechte der Erwerbstätigen gewahrt werden und Datenschutz von vornherein zum Standard gehört. Solch ein Ansatz wird auch im Whitepaper der Plattform Lernende Systeme zur Einführung von KI-Systemen in Unternehmen empfohlen. Denn u.a. durch Befragungen ist bekannt, dass weniger Beschäftigte das Gefühl haben, der digitalen Technik ausgeliefert zu sein, wenn sie Einfluss auf die Art und Weise ihres Einsatzes haben. Wichtig ist darüber hinaus, von Beginn an auf Belastungen des Technikeinsatzes zu schauen – insbesondere, ob die Arbeitsmenge und -intensität zunehmen, am besten durch eine gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung. So zeigen verschiedene Studien einschließlich der Befragungen mit dem DGB-Index Gute Arbeit, dass durch die Digitalisierung in den letzten Jahren insbesondere psychische Belastungen und in der Folge psychische Erkrankungen und damit verbundene Frühverrentungen zugenommen haben. Arbeit ist also für viele nicht nachhaltig.
Welche Anforderungen stellen sich an Unternehmen und Beschäftigte?
Nadine Müller: Alle gesellschaftlichen Akteure, Unternehmen und Beschäftigte müssen die UN-Nachhaltigkeitsziele wie die Pariser Klimaziele einschließlich ihrer sozialen Ziele wie gute Arbeitsbedingungen jetzt und für die nächsten Jahre priorisieren und zum (Mindest-)Standard machen. Unter diesem Blickwinkel sind auch KI-Anwendungen insbesondere in den Unternehmen und in der Arbeitswelt zu bewerten. Die Ziele für den Einsatz von KI sollten also vor allem gemeinwohlorientiert und damit nachhaltig sein, bei der Zielbestimmung auch die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen einbezogen werden. Um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, spielen Innovationen – auch im Bereich Digitalisierung und KI – eine große Rolle. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Innovationen ganz wesentlich durch gute Arbeitsbedingungen gefördert werden, wie das ver.di-Innovationsbarometer regelmäßig zeigt. Da keine Zeit mehr zu verlieren ist, wird es jetzt darauf ankommen, alle Anstrengungen von Unternehmen, Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen auf eine nachhaltige Arbeit und Wirtschaft auszurichten – und dabei nicht auf eine KI zu hoffen, sondern tätig zu werden und die Weichen unverzüglich zu stellen.
Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).