KI in der Medizin: „Vielversprechende Einsatzmöglichkeiten nicht zu erkunden, wäre fahrlässig“

Wie lässt sich Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin verantwortungsvoll nutzen? Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie (Ethik) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Arbeitsgruppe Recht und Ethik der Plattform Lernende Systeme, zeigte im Rahmen der Dialog-Reihe acatech am Dienstag die Chancen der Technologie für den Gesundheitsbereich auf – machte aber auch die ethischen Grenzen deutlich. Die Veranstaltung fand am 27. September in Kooperation mit vhs.wissen live statt.

Das Potenzial von Künstlicher Intelligenz für medizinische Anwendungen ist ohne Zweifel groß. Mithilfe von KI können in der Medizin sogenannte Digitale Zwillinge entstehen, ein virtuelles Abbild eines Körpers oder Organs auf Basis von Gesundheitsdaten. Aus der Testung dieses digitalen Zwillings können für den realen Menschen potenzielle Schwächen und drohende Krankheiten identifiziert und präventiv mögliche Therapien vorgeschlagen werden. Andere KI-Anwendungen finden sich beispielsweise im Bereich der Krebsdiagnose – insbesondere bei Hautkrebs, wo KI-basierte Assistenzsysteme teilweise bessere Diagnosen bereitstellen, als es erfahrene Ärztinnen und Ärzte derzeit können. KI sei ein Megatrend, sie zähle zu den bedeutendsten technischen Revolutionen in der Geschichte, so der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock. KI und Lernende Systeme zeichneten sich dadurch aus, dass sie abstrakt beschriebene Aufgaben auf Basis von Daten, die ihnen als Lerngrundlage dienen, selbständig erledigen können – ohne, dass jeder Schritt spezifisch programmiert wird. Dies führe aber auch dazu, dass diese neue Technologie nicht nur Chancen, sondern auch Risiken berge. Als zentrale Herausforderung nannte Dabrock die effektive, aber auch verantwortungsvolle Kooperation von Mensch und Maschine.

Ethische Grenzgänge: Welche Daten dürfen KI-Systeme nutzen?

Viele KI-Systeme nutzen klassische medizinische Daten. Denkbar sind aber auch KI-Anwendungen die auf Daten in Social Media zugreifen, sagte Peter Dabrock weiter. So könnten aus den Posts, Likes und Kommentaren von Nutzerinnen und Nutzern von Online-Plattformen Rückschlüsse gezogen werden, ob jemand typische Muster für Depression zeige oder gar zur Suizidalität neige. Dieser Schluss käme in diesem Fall aber nur durch einen Musterabgleich mit gängigen Anzeichen, die für Suizidgefährdung sprächen, zustande – und nicht durch eine fachärztliche Diagnose. KI für diese Zwecke zu nutzen, sei ethisch ausgesprochen zweideutig, so Peter Dabrock. Denn einerseits sei dies ein meistens nicht ausdrücklich von den Betroffenen gewünschter massiver Eingriff in ihre Lebensführung; auf der anderen Seite stelle sich jedoch die Frage, ob der potenzielle Nutzen – die Rettung eines Lebens – die nicht genehmigte Datensammlung und den Musterabgleich vielleicht doch rechtfertigen könne. Über diese Zweideutigkeit müsse in der Gesellschaft noch viel stärker diskutiert werden.

Peter Dabrock

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„Es gibt vielfältige und vielversprechende Einsatzmöglichkeiten. Sie nicht zu erkunden, wäre fahrlässig. Denn wir haben eine Verantwortung dafür, dass Handlungen und Entscheidungen recht und gut sind. Wir haben auch eine Verantwortung, wenn wir Sinnvolles wider bessere Einsicht unterlassen“.

Datenspenden für medizinischen Fortschritt

Je mehr Daten, desto größer der Nutzen von KI-Systemen, erklärte Peter Dabrock in seinem Vortrag. Um mehr Daten verfügbar zu machen, sei es unverzichtbar, dass sich Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft den ethischen Herausforderungen stellten: Zunächst müsse dem Datensubjekt – der Patientin oder dem Patienten – mehr Kontrollmöglichkeiten im Datenverarbeitungsprozess eröffnet werden. Weiter müssten die Systeme transparent, partizipativ aufgestellt und möglichst robust sein. Zu guter Letzt sichere eine Kultur der Solidarität bei der Krankenversorgung auch die Bereitschaft der Menschen, Daten für den medizinischen Fortschritt zu spenden.

Den Vortrag von Peter Dabrock gibt es auch als Podcast.

Weitere Informationen:

Linda Treugut / Birgit Obermeier
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